Gott beginnt sein ganz persönliches Gespräch mit uns als Lernender

Weihnachten 2021

 

„Du, lass dich nicht verhärten

In dieser harten Zeit

Die allzu hart sind, brechen

Die allzu spitz sind, stechen

Und brechen ab sogleich

Und brechen ab sogleich

Du, lass dich nicht verbittern

In dieser bitt'ren Zeit“

So beginnt das Lied „Ermutigung“ des Liedermachers Wolf Biermann aus dem Jahre 1968, in dem er die Verhältnisse in der damaligen DDR, wie er sie erlebt hat, aufgreift. „Du, lass dich nicht verbittern in dieser bitt’ren Zeit“ … es klingt, als wären diese Worte für unsere Zeit geschrieben worden. Wer zu sehr innerlich verhärtet, der zerbricht. Ganz richtig, mag da mancher sagen, wir sind ja schon wieder auf dem Weg in eine Diktatur wie damals in der DDR mit unseren Corona-Maßnahmen, während andere angesichts solcher Äußerungen genervt die Augen verdrehen. Der eine oder andere freut sich vielleicht sogar klammheimlich über weihnachtliche Kontaktbeschränkungen, denn so entgeht man Familienstreitigkeiten, die in der gegenwärtigen Situation noch einmal ganz neue Ausmaße annehmen können. Ist Weihnachten also nur Anlass zur Vertiefung der familiären, ja gesellschaftlichen Spaltung — oder kann die Weihnachtsbotschaft doch helfen, Verhärtung, Verbitterung und Spaltung zu überwinden, kann sie Ermutigung sein?

Eigentlich kennen wir ja das Gegenmittel gegen Verhärtung und Spaltung: Dialog und Gespräch, einander tatsächlich zuhören, nicht schon geistig aussortieren, was nicht in die eigene Meinung passt, sondern die Worte des anderen ernst nehmen, abwägen — und das Ganze in einer Haltung der Hoffnung, ohne die es sowieso vergeblich ist, sich auf den anderen einzulassen. Eigentlich wissen wir das, eigentlich ist allerdings nicht nur ein schwieriges, sondern auch ein gefährliches Wort, denn es zeigt an, dass wir etwas verstanden haben, aber nicht willens oder in der Lage sind, es zu leben.

Gott macht es uns doch vor, so könnte man Weihnachten vielleicht kurz zusammenfassen. Er verfasst nicht ein Handbuch mit dem Titel „Ratschläge für die gegenwärtige verfahrene Situation — erarbeitet vom hochkompetenten himmlischen Beirat, besetzt mit Experten aus allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens“, nein, denn er weiß, dass Ratschläge auch Schläge sind, die manchmal ganz besonders weh tun. Deshalb geht er einen anderen Weg, kein Handbuch, keine Richtlinie, keine Mitteilung zur Lage, sondern er kommt selbst. Er wird ein Mensch, ein Säugling, radikal verletzlich, vollständig auf die Hilfe der anderen Menschen angewiesen. Gott beginnt sein ganz persönliches Gespräch mit den Menschen, indem er zunächst nichts anderes kann als zu lernen und zuzuhören. Es dauert ungefähr dreißig Jahre, bis er nun selbst öffentlich das Wort ergreift: durchaus zugespitzt, erspart er seinen Zuhörern nichts, mit seinen Gleichnissen liefert er nicht einfach fertige Antworten, sondern mutet ihnen zu selbst nachzudenken und die Lösung zu finden. Zuhören und Lernen heißt nicht keine eigene Position zu haben, wie wir an Jesus sehen, sie sind vielmehr die Voraussetzung, um einen eigenen Standpunkt zu entwickeln. Die Botschaft von der Menschwerdung Gottes zeigt uns einen Dialog der Hoffnung: ein Gespräch, in dem wirklich zugehört wird, in dem jeder lernen kann — getragen durch die Hoffnung, dass der Mensch nicht verloren ist, da Gott sich für immer an ihn gebunden hat, indem er selbst einer von uns geworden ist.

Einen solchen Dialog, ein solches Gespräch der Hoffnung brauchen wir dringend — im Kleinen wie im Großen, doch ich bin überzeugt, dass dies ohne den Kern der Weihnachtsbotschaft nicht gelingen kann. Etwas muss uns verbinden, damit Dialog möglich wird. Das altgriechische Wort „Dialog“, das Gespräch bedeutet, sagt es uns: das, was uns verbindet, wodurch wir das Gespräch führen, ist der Logos, das vernünftige, sinnvolle Wort. Und der Evangelist Johannes sagt in den ersten Worten seines Evangeliums, dieses Wort, dieser Logos ist Jesus, durch den die Welt geschaffen ist und der um unseretwillen Mensch geworden ist. Im vernünftigen Wort, in dem allein ein sinnvolles Gespräch möglich ist, begegnet uns der menschgewordene Gott selbst. Dass ein Gespräch Sinn hat, dass der andere Würde hat, auch wenn er anderer Meinung ist, dass auch seine Worte hörenswert sind, das muss ich schon voraussetzen, muss ich letztlich glauben, sonst gelingt das Gespräch nicht.

Ich muss annehmen, dass die Worte des anderen — bildlich gesprochen — nicht Kugeln sind, gegen die ich mich wappnen und schützen muss, sondern dass seine Worte Samenkörner sind, die bei mir auf fruchtbaren Boden fallen und so in mir wachsen und reifen können. Es geht darum, dass das, was der andere sagt, auch mich bereichern kann. Worte, die also nicht Kugeln sind, die mich bedrohen, sondern viel eher Samenkörner, die in mir wachsen und reifen können. Was hilft mir diese Sicht der Dinge annehmen zu können? Es kommt wohl darauf an, was Worte eigentlich sind: Waffen in der Auseinandersetzung mit anderen oder doch etwas anderes? Der Glaube sagt uns, das Ur-Wort, das erste Wort der Schöpfung ist sozusagen: Du sollst sein, Du sollst wachsen und reifen! Dieser Logos, dieses erste Wort, in dem Gott sich ganz ausspricht und durch das alles erschaffen ist, ist Jesus, der um unseretwillen Mensch geworden ist. Das Wesen des Wortes ist nicht den anderen zu beschädigen, sondern wachsen zu lassen. Wenigstens das muss ich glauben, um einen wirklichen Dialog der Hoffnung führen zu können.

Ich weiß, dass man mir entgegenhalten wird, dass dies eine Utopie ist, eine Wunschvorstellung, die angesichts der verhärteten Fronten unserer Gesellschaft gar nicht umsetzbar ist. Gewiss wird dies nicht sofort und nicht einfach eins zu eins gelingen. Ich bin mir dessen sehr wohl bewusst. Doch ohne Utopien gelingt letztlich keine Veränderung zum Besseren. Wo ein Dialog der Hoffnung auch nur ansatzweise geschieht, ist etwas gewonnen, ist es Ermutigung. Gott hat seinen ganz persönlichen Dialog mit uns begonnen, indem er ein Säugling geworden ist, und so nichts konnte als zuzuhören und zu lernen. Und gerade so ist Jesu eigene Position gewachsen. Ein Dialog der Hoffnung kann nur gelingen, wenn Worte nicht Kugeln sind, die uns verletzen, sondern Samenkörner, die wachsen und gedeihen. Der Glaube sagt uns, das erste Wort der Schöpfung ist: Du sollst sein, du sollst wachsen. Jesus ist dieses Wort Gottes, dessen Menschwerdung wir heute feiern. Das Grundwort allen Seins ist nicht Abgrenzung und Härte, sondern Wachsen- und Gedeihen-Lassen, fruchtbare Begegnung. Ist das nicht wahrhaft eine frohe Botschaft?