Kirche der Passivität und der Langeweile?

16. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C; Kol 1, 24–28; Lk 10, 38–42)

Ein Diener der Kirche sei der Apostel Paulus geworden, sagt die Lesung aus dem Brief an die Kolosser. Vielleicht ganz interessant, was damit gemeint ist, da doch gerade viel in der Kirche in Bewegung ist — vorsichtig gesagt. Aber — ach du liebe Zeit — er freut sich im Leiden und will ergänzen, „was an den Bedrängnissen Christi noch fehlt an seinem Leib, der die Kirche ist.“ Leiden suchen wir allerdings gerade nicht, wenn wir suchen, was Kirche heute ist — im Gegenteil, viele geben an, an der Kirche zu leiden, und wollen dies jedoch abstellen und nicht verlängern. Möglicherweise hilft uns das Evangelium weiter. Doch auch da — nichts als Enttäuschung. Nicht die zupackende, in unseren Zeiten sympathisch unabhängig wirkende Herrin des Hauses, Marta, hat „den guten Teil gewählt“, sondern die langweilig-passive Maria, die mit Freude dem ausschweifenden Vortrag Jesu lauscht. Ist das nun das, was Kirche heute sein soll? Kirche des Leidens? Kirche der Passivität und der Langeweile?

Ich gebe zu, dass ich den Gegensatz zwischen Marta und Maria ein wenig zugespitzt habe, doch lange wurde in der Tradition der Kirche dieser Abschnitt auch ein Stück weit so gedeutet: das beschauliche, also dem Gebet gewidmete Leben hat Vorrang vor einem aktiven Leben. Doch letztlich ist das gar nicht der Punkt, es geht schlicht darum, dass das Hören auf das Wort Gottes, das uns in der Botschaft Jesu begegnet, die erste Priorität ist, hinter der alles zurückstehen muss — auch die im Orient so wichtige Rolle des Gastgebers bzw. der Gastgeberin. Und liegt darin nicht auch ein scheinbar banaler, aber doch entscheidender Hinweis für uns, die wir suchen, was Kirche heute sein kann oder muss? Zuerst gilt es auf Jesus zu hören. Alles andere, was heutzutage angeblich dringlich ist und unbedingt sein muss, damit Menschen uns noch wollen, all das muss zurückstehen — auch wenn der Aktivismus der Marta vielen sympathisch erscheint. Auch der Einzelne muss doch erst einmal wissen, was er will und was ihm wichtig ist, was die Maßstäbe für sein Entscheiden sind, bevor er sich ins Tun stürzt.

Wählen auch wir den guten Teil und versuchen wir also nochmal genauer hinzuhören, was der leidende Diener der Kirche, Paulus, hier vorhat. Er freut sich an den Bedrängnissen, am Leiden, in dem er auch den verborgenen Heilsplan Gottes erkennt. Mir scheint es hier nicht einfach nur um körperliche Leiden zu gehen, obwohl Paulus auch diese in der Verfolgung ertragen musste, sondern um etwas Anderes, in gewissem Sinne Tieferes: beispielsweise auch um manchen Schmerz, den der Apostel in Auseinandersetzungen mit den christlichen Gemeinden ertragen musste, den er aber ausgehalten hat. Vielleicht kann man es so sagen: Gerade, wenn man einen solchen inneren, nicht körperlichen Schmerz, ein inneres Ziehen und Reißen erfährt, ist das doch ein Zeichen, dass man an etwas Wichtigem dran ist, dass es nicht einfach um Banales geht. Es geht um eine innere Erfahrung, die wahrscheinlich jeder Mensch nachvollziehen kann. Wo ich manchmal diesen inneren, nicht körperlichen Schmerz, dieses Ziehen und Reißen spüre, da bin ich an etwas Wichtigem dran. Dies gilt es auszuhalten, und nicht ins Oberflächliche auszuweichen. Das hält Paulus als Diener der Kirche aus.

Und was verkündet er so als seine Botschaft? Was ist jenes Geheimnis, das einst verborgen war, jetzt aber geoffenbart wurde? „Christus ist unter euch, die Hoffnung auf Herrlichkeit.“ Der menschgewordene Gott ist mitten unter uns, das ist unsere Hoffnung. Das ist die Botschaft, die uns im Brief an die Kolosser begegnet, das ist die Botschaft, die wir heute hören, wenn wir bereit sind wie Maria, die Schwester der Marta, zuzuhören. Allerdings wird wohl mancher einwenden, dass diese Botschaft heutzutage wohl keinen vom Hocker haut, da muss man doch ein bisschen … doch da sei an unsere vorige Erkenntnis erinnert: den guten Teil hat an dieser Stelle die hörende Maria gewählt, nicht die aktive Marta, die sich beschwert. Stattdessen muss die Frage lauten, wie wir diese Hoffnung auch heute verkünden können.

„Christus ist unter euch“ — das ist der menschgewordene Gott, und damit immer auch der Gekreuzigte und Auferstandene. Die Hoffnung, die wir verkünden, ist immer die Hoffnung, dass Gott mit uns geht, dass aber der Schmerz und der Tod nicht das letzte Wort haben werden, sondern das Leben. Sieht aber das Leben nicht oft anders aus? Wo kann ich erfahren, dass solche Hoffnung vernünftig ist? Denken wir nochmal an die Bedrängnisse, die Paulus auszuhalten hat und die ihn offensichtlich nicht schwächen, sondern stärken — auch weil ihm so angezeigt ist, dass es um Wichtiges geht. Ist das Eigenartige an einer solchen Erfahrung eines inneren, nicht körperlichen Schmerzes, eines Ziehens und Reißens nicht, dass da, wo man sich ihm stellt, man Kraft hat weiterzumachen? Das heißt nicht, dass gleich alles gelöst ist, aber wo ich mich diesem inneren Ziehen und Reißen stelle, da entsteht immer wieder die Kraft weiterzumachen. Vielleicht achten Sie selbst einmal darauf … So entsteht Hoffnung. Ist das nicht ein Fingerzeig, dass die christliche Hoffnung zutrifft? Dass der Schmerz des Kreuzes sich in Leben wandelt? Hoffnung lernen wir nicht, wenn wir nach unten schauen, ins Kleine, Handhabbare und Berechenbare. Hoffnung lernen wir, wenn wir nach oben schauen, zu dem, was größer ist — oder besser gesagt: zu dem, der größer ist.

Ganz offensichtlich sind wir auf der Suche nach dem, was und wie Kirche heute sein soll. Im Evangelium begegnet uns die Notwendigkeit des Hörens auf Gottes Wort, das uns in Jesu Botschaft begegnet — vor allen anderen Notwendigkeiten, die man uns heute einreden will. In der neutestamentlichen Lesung stoßen wir auf den Apostel Paulus als Diener der Kirche, der Bedrängnisse aushält, um Hoffnung zu verkünden, die Hoffnung, dass Christus unter uns ist. Das ist, das muss unsere Botschaft sein. Ist Hoffnung nicht das, was Menschen zu allen Zeiten suchen und brauchen? Der Schmerz des Kreuzes wandelt sich ins Leben, wir können das ahnen, wenn wir spüren, dass ein inneres Ziehen und Reißen uns anzeigt, das wir an Wichtigem dran sind, und wenn wir uns diesem inneren Schmerz stellen und er sich in Kraft verwandelt weiterzumachen. Verlieren wir also nicht die Hoffnung. Christus ist unser uns!