„… und nehm ich den in Acht, so ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.“

18. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C; Koh 1, 2; 2, 21–23; Lk 12, 13–21)

Sag einer, die Bibel sei nicht aktuell! „Das Leben des Menschen besteht nicht darin, dass einer im Überfluss seines Besitzes lebt.“ Das scheint eine bittere Wahrheit für unsere Zeit zu sein. Gewiss leben nicht alle von uns im Überfluss, die wenigsten werden das von sich behaupten, es ist aber nun mal eine Tatsache, dass wir im weltweiten Vergleich zu den reichsten Ländern gehören. Doch dieser weltweite Vergleich hat uns bisher nicht allzu sehr gestört, während jetzt alte Gewissheiten mehr und mehr zerbrechen. Die Erfahrungen der Corona-Pandemie, ein Krieg in Europa, die steigende Inflation, all das zwingt viele ihr Leben — wenigstens ein Stück weit — neu auszurichten. Solche Veränderungen lassen uns die Vergänglichkeit deutlicher spüren, das Gefühl, dass vermeintliche Sicherheiten zwischen den Fingern zerrinnen, vielleicht sogar das Leben selbst. An diese Vergänglichkeit erinnert Jesus in nicht allzu sensibler Weise in dem Gleichnis vom reichen Mann, der seinen Überfluss nicht mehr genießen kann, weil sein Leben in jener Nacht endet. „Du Narr!“, sagt Jesus. Was wird zum Halt inmitten der Veränderungen, die uns treffen, inmitten der Vergänglichkeit, die schmerzhaft erfahren wird? Gott?

Nun, für die meisten Menschen offenbar nicht. Gott scheint irgendwie weggerückt, eben im sanften Rhythmus des Konsum-Alltags schlicht vergessen wie ein alter Freund, der digital vielleicht nicht auf dem neuesten Stand ist und deshalb aus der Kommunikation rausgefallen ist. Ach ja, den gab es doch auch mal, lange nichts von ihm gehört, lebt der überhaupt noch? Verdeckt von einer Kirche, die auf viele wie aus der Zeit gefallen wirkt und die nur noch mit eigenen Fehlern beschäftigt ist, verdeckt von seltsamen Gottesbildern wie dem alten Mann auf der Wolke, die niemand glauben mag, verdeckt von einer Vertröstung aufs Jenseits, die keiner mehr ernst nimmt.

Und doch: das Bedürfnis einen Halt zu haben bleibt. Schauen wir ein wenig genauer auf die verunsichernden Erfahrungen. Erschütterungen, wie man sie gegenwärtig erfahren kann, lassen eben Vergänglichkeit spüren. Der sanfte Rhythmus des Alltags weiß normalerweise nicht viel von Vergänglichkeit. Die Sonne geht auf wie an jedem Morgen, die Arbeit, alles wie immer, könnte nicht anders sein, morgen wieder genauso.Warum auch nicht? Doch es ist offenkundig, dass wir in einer Umbruchszeit leben, was wir jetzt auch zu spüren bekommen. Dinge verändern sich, und das zeigt uns an, dass das Leben vergänglich ist — auch und gerade unser eigenes. Doch in der Vergänglichkeit schwingt noch etwas anderes mit: Vergeblichkeit. Die alttestamentliche Lesung bringt es in noch weniger einfühlsamen Worten auf den Punkt als das Evangelium: Es kommt vor, dass ein Mensch, der seinen Besitz rechtmäßig erworben hat, diesen einem anderen überlassen muss, der sich nicht dafür angestrengt hat. Alles ist Windhauch. In diesem uralten Text schwingt die ganze Erfahrung einer Zeit mit, in der Krankheit, Krieg und Tod noch in ganz anderer Weise zum Leben gehörten. Die Vergänglichkeit wird erst richtig bitter durch die Vergeblichkeit. Welche Spuren hinterlasse ich? Warum soll ich mich anstrengen, wenn alles verschwindet? Warum aber stellen wir überhaupt solche Fragen? Wir kennen doch nichts anderes als Vergänglichkeit!? Wir sehnen uns danach, dass etwas bleibt, nach Spuren, die wir hinterlassen, nach bleibendem Sinn, der gültig ist — obwohl wir das doch aus dieser Welt so nicht kennen. Wir erleben es bei Kindern. Die erleben das als normal, was sie von klein auf kennen — mag es uns noch so absurd oder gar schlimm erscheinen. Warum leiden wir also unter Vergänglichkeit und Vergeblichkeit? Ich kenne nur eine vernünftige Antwort darauf: weil wir aus Gott sind und auf ihn hin unterwegs sind. Er allein ist der Unvergängliche, er ist der Halt.

Und er ist nicht derjenige, der uns einfach aufs Jenseits oder irgendetwas, das kommt, vertröstet. Die Lesung aus dem Buch Kohelet erinnert uns daran, dass der, der Besitz hat, durch Sorge und Ärger ausgefüllt ist, ja nachts sogar deswegen nicht schlafen kann. Und im Gleichnis Jesu ist der Reiche von der Sorge umgetrieben, wo er seinen großen Besitz unterbringt. Die Sorge um den Besitz, der angstvolle Blick in die Zukunft ist es, der den Menschen umtreibt. Die Sorge um die Zukunft kann zerfressen, Gott ist dagegen in der Gegenwart zu finden. Manchmal gibt es doch, vielleicht sogar öfter, als man meint, kostbare oder einfach gute Momente, Momente des Zusammen-Seins mit anderen oder der Ruhe im Allein-Sein, eventuell in der Natur. Ist es nicht so, dass man in solchen Momenten ganz von selbst eine größere Ordnung wahrnimmt, die schlechthin gilt und uns übersteigt? Dass man solche Momente ganz unwillkürlich als Geschenk wahrnimmt? Wo ein Geschenk ist, da ist einer, der schenkt. Wer soll dies sein — außer Gott? Ich denke da an ein Gedicht des Barock-Dichters Andreas Gryphius: „Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen, mein sind die Jahre nicht, die etwa mögen kommen, der Augenblick ist mein und nehm ich den in Acht, so ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.“ Zweifellos müssen wir alle Vorsorge tragen für die Zukunft, doch diese hat die Neigung sich auszuweiten und kann uns so zerfressen. Gott ist nicht im ängstlichen Blick in die Zukunft zu finden, sondern in der Gegenwart, die ich als Geschenk erlebe und annehme.

Veränderungen, die wir erleben, führen uns die Vergänglichkeit des Lebens vor Augen. Was die Vergänglichkeit besonders bitter macht, ist die Vergeblichkeit. Der Mensch sucht, der Mensch braucht in solchen Erfahrungen einen Halt. Welche Spuren hinterlasse ich? Warum soll ich mich anstrengen, wenn alles verschwindet? Dass wir solche Fragen überhaupt stellen, obwohl wir aus dieser Welt nur Vergänglichkeit kennen, zeigt für mich, dass wir aus Gott sind und auf ihn hin unterwegs sind. Gott vertröstet uns nicht auf die Zukunft. Es ist die Sorge um das, was wir haben, die den angstvollen Blick in die Zukunft lenkt. Gott ist in der Gegenwart zu finden: in den guten Momenten, die wir ganz unwillkürlich als Geschenk erleben. Wo ein Geschenk ist, ist einer, der schenkt: Gott. „Der Augenblick ist mein und nehm ich den in Acht, so ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.“