Mach Dein Ding?

2. Adventssonntag (Lesejahr A; Jes 11, 1–10; Mt 3, 1–12)

„Es ist zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von allen“, dieser Satz Karl Valentins kommt mit immer wieder in den Sinn, wenn ich öffentliche Stellungnahmen von Kirchenvertretern höre. Es wird vor allem das wiederholt, was andernorts schon gesagt wurde, wahrscheinlich um zu zeigen, dass wir als Christen noch relevant und auf der Höhe der Zeit sind. Wie anders ist doch Johannes der Täufer! „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe!“, verkündet er. Und er macht es noch schlimmer: Als tatsächlich Interessierte zu diesem seltsamen Mann in die Wüste hinauszogen, sagte er nicht: Schön, dass ihr da seid, sondern: „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Zorngericht entrinnen könnt?“ Mancher sagt dann, das ist halt Johannes der Täufer, Jesus war anders. Ach ja? „Kehrt um, das Himmelreich ist nahe“, ist auch die erste Botschaft Jesu, die so genannte Frohe Botschaft. Lässt sich das heute noch vermitteln? Die Aufforderung zur Umkehr als „Frohe Botschaft“?

Aus Sicht der Bibel scheint alles ganz klar, es geht um Erlösung, um endgültigen Frieden in der ganzen Schöpfung, wie es das Buch Jesaja in poetischen Bildern beschreibt. Mensch und Tier leben in Frieden, das Böse gibt es nicht mehr. Wer wollte — gerade in unseren Tagen — bestreiten, dass die Welt erlösungsbedürftig ist? Für die Propheten ist es eindeutig, diese Erlösung ist für den Menschen unmöglich, nur Gott kann sie schenken. „Das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn“, heißt es bei Jesaja, und wenn Johannes der Täufer das Nahen des Himmelreichs verkündet, bedeutet dies das Kommen des lebendigen Gottes. Der Mensch ist gerufen, ihm entgegenzugehen, ihm den Weg zu bereiten. Gott ist nicht irgendeine Kraft, eine Energie, die irgendwie überall ist, sondern er ist Jemand, der kommt, auf den ich mich ausrichten, zu dem ich hin umkehren muss.

Soweit so gut, doch so fremd ist den Menschen unserer Tage wohl auch dieses Denken. Nicht „Kehr um“ möchte man hören, das wäre ein Angriff auf die persönliche Freiheit, und wer dürfte sich solches anmaßen? Heutzutage heißt das Motto: Mach dein Ding, geh deinen eigenen Weg! „Kehr um“ — diese Botschaft löst da wohl nur Befremden und Ablehnung aus, wird kaum als Frohe Botschaft erkannt Oder? Sehen wir genauer hin: Was heißt es denn, sein „eigenes Ding zu machen“, wie man heute so sagt, seinen eigenen Weg zu gehen? Es heißt wahrscheinlich diesen Weg erst einmal zu finden, was gar nicht so einfach ist, wie wahrscheinlich jeder Mensch aus eigener Erfahrung weiß, und was auch die Vielzahl der Mahnungen belegt, die immer wieder dazu auffordern, sein „eigenes Ding zu machen“. Was leicht und naheliegend ist, muss nicht immerzu angemahnt werden. Seinen eigenen Weg zu finden, heißt also immer wieder neu zu überlegen, was dieser Weg ist, immer neu den eigenen Weg zu bestimmen und gegebenenfalls zu korrigieren. Hoppla, was war das? Den eigenen Weg korrigieren? Gibt es da nicht ein schönes biblisches Wort dafür? Genau, Umkehr! Ich wage es einmal zu sagen: Geh deinen eigenen Weg, heißt letztlich immer wieder: Kehr um! Denn diesen eigenen Weg zu finden, ist gar nicht so einfach, braucht Besinnung und eben auch Korrektur — oder biblisch gesagt: Umkehr. Bei genauerer Betrachtung ist also unsere biblische Botschaft, wie sie uns bei Johannes dem Täufer und später auch bei Jesus begegnet, letztlich gar nicht so weit von der Frohen Botschaft unserer Tage entfernt. „Geh deinen eigenen Weg“ heißt letztlich immer wieder: „kehr um“.

Und doch scheint der Unterschied mit Händen zu greifen zu sein, denn die biblische Umkehr ist ja eine Umkehr zu Gott hin, während die Aufforderung den eigenen Weg zu gehen, eben eine Art Selbstermächtigung zu sein scheint, eine Umkehr zu sich selbst. Doch ist es nicht so, dass dieser Weg oft auch sehr mühsam ist, selbst wenn man ihn gefunden hat? Ja, ist es nicht so, dass dieser so genannte eigene Weg oft sogar der mühsamere Weg ist? Es ist einfacher die Dinge schlicht laufen zu lassen, sich treiben zu lassen. Vielleicht findet man so auch den eigenen Weg, aber ihn konsequent zu gehen, ist anstrengender, als man gelegentlich denkt. Das ist — wenn man es näher betrachtet — seltsam. Warum ist der Weg, der doch mein eigener ist, so mühsam? Gewiss, da sind andere, die einem möglicherweise Steine in den Weg legen, aber das ist nicht alles. Müssen wir uns nicht eingestehen, dass wir uns gelegentlich selbst Steine in den Weg legen? Weil uns dieser eigene Weg zu schwierig erscheint, manchmal sogar fremd? Vielleicht ist dieser eigene Weg eben nicht nur unser Weg, sondern auch der Weg eines anderen. Unser eigener Weg ist der Weg, auf den Gott uns ruft, der Weg Gottes — oder wie Johannes der Täufer sagt: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe!“

Wenn ich erkenne und glaube, dass mein Weg der Weg Gottes für mich ist, dann wird mir dieser Weg leicht fallen, dann entfällt das Mühsame und Schwere. Ich weiß, das ist beileibe kein Dauerzustand in dieser Welt. Unseren Weg zu gehen ist mühsam und schwer und erfordert eben immer wieder Umkehr. Doch in den Momenten, in denen wir erkennen, wahrnehmen, glauben, dass dies der Weg Gottes für uns ist, ist da der Weg nicht einfach, wenn auch vielleicht nur für einen Augenblick?

„Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe!“ Diese Botschaft Johannes’ des Täufers ist tatsächlich eine Frohe Botschaft — auch für unsere Tage. Heutzutage sagt man zwar eher: Geh deinen Weg, mach dein Ding! Doch den eigenen Weg zu finden, bedarf auch immer wieder der Kurskorrektur — oder biblisch gesagt der Umkehr. Man meint heute zwar diese Umkehr müsse eine Umkehr zu sich selbst sein, doch gleichzeitig erfährt man, dass dieser eigene Weg auch mühsam und manchmal fremd ist. Es ist nicht einfach n u r mein Weg, es ist der Weg, auf den Gott mich ruft. In den Momenten, in denen ich das erkenne, wird der Weg leicht. Darum heißt unsere Frohe Botschaft: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe!“