Der Glaube an die Menschheit oder an die Zukunft ergibt keinen Sinn

27. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C; Lk 17, 5–10)

„Stärke unseren Glauben!“, bitten die Apostel Jesus. Stärke unseren Glauben — ist das nicht der Seufzer unserer Zeit? Stärke unseren Glauben an den Frieden, an die Menschheit, an eine bessere Zukunft, an ein Ende der Krisen, die ohne Ende zu sein scheinen! Menschen suchen, was sie stärkt im Glauben, nicht unbedingt Glaube an Gott, eher an eine bessere Zukunft, an irgendetwas, das ihnen Mut gibt zu leben. Was stärkt nun unseren Glauben — an die Zukunft, an die Menschheit oder vielleicht auch an Gott?

An irgendetwas glauben muss man ja, sagte einmal ein Schüler zu mir, an irgendetwas muss der Mensch sich in den Stürmen des Lebens festhalten. Vielleicht ist es die Menschheit, in der doch plötzlich einmal echte Menschlichkeit, echtes Miteinander aufblitzt, oder es ist die Chance auf eine bessere Zukunft, die antreibt. Ich will niemandem einfach wegnehmen, woran er glaubt, doch ich kann weder an die Zukunft noch an die Menschheit glauben, beides ergibt für mich keinen Sinn. Manche sagen, ich kann nicht an Gott glauben, denn es gibt ihn nicht, ich sage, ich kann nicht an die Zukunft glauben, denn es gibt sie nicht. Das Wesen der Zukunft ist ja, dass es sie jetzt nicht gibt, und niemand weiß letztlich, ob es sie geben wird. Ähnliches gilt für die Menschheit. Es gibt nur mehrere Milliarden von einzelnen Menschen, die Menschheit ist letztlich vor allem eine Größe, die wir in unserem Kopf bilden. Darum lernt die Menschheit auch nichts, denn es gibt konkret nur die Menschen, die geboren werden und immer wieder von neuem beginnen. An jemanden glauben, heißt doch ihm vertrauen, auf ihn bauen, wie soll das geschehen, wenn etwas nur ein Allgemeinbegriff ist? Wenn es stürmt und der Sturm an meinem Haus rüttelt, dann ergibt es keinen Sinn, an das Haus zu glauben. Ich kann dem glauben, der das Haus gebaut hat, dass er sein Handwerk verstanden hat, so dass das Haus dem Sturm standhält. So ist es auch mit den Menschen und der Welt. Ich kann dem glauben, der sie erschaffen hat, und den wir als Glaubende Gott nennen. So ist es auch, wenn wir in bestimmten Situationen Dankbarkeit spüren, sei es nach einer brenzligen Situation im Auto, sei es an einem Jahrestag. Sie steigt in solchen Situationen ganz unwillkürlich auf, an wen soll sie sich richten — wenn nicht an den Schöpfer?

Dem Glauben entkommen wir nicht und so entkommen wir schlussendlich auch Gott nicht, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Schauen wir also genauer hin, was Jesus tut, als seine Apostel ihn bitten, ihren Glauben zu stärken. Sagt er, das wolle er von Herzen gern tun? Nein, stattdessen weist er sie zurecht. Das sollte man heutzutage mal wagen. Jesus macht deutlich, dass schon ein winziges bisschen Glaube ihr Leben verändern würde. Ja, er setzt noch einen drauf. Der Mensch hat vor Gott keinen Anspruch zu erheben. Man kann sich vorstellen, dass die Jünger sich vor den Kopf gestoßen fühlen, aber es könnte auch sein, dass sie anfangen nachzudenken — entgegen mancher Vorurteile ist das im Glauben immer eine gute Sache. Sie könnten auch erkennen, das sie von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind, dass die Stärkung im Glauben nichts ist, was man einfach serviert bekommt wie in einem Restaurant.

Was lernen wir daraus? Stärkung im Glauben ist eher das Gegenteil von dem, was man erwartet. Stärkung im Glauben geschieht nicht da, wo mir erzählt wird, was ich immer schon hören wollte. In unserer Kirche und in unserer Gesellschaft wird zu oft applaudiert für das, was man ohnehin schon weiß und befürwortet, so als beklatsche man sich selbst. Stärkung im Glauben geschieht gerade auch da, wo ich das höre, was mir nicht gefällt oder was neu für mich ist, was mich zum Nachdenken anregt, was mich auch einmal überrumpelt, wo ich mich auf das einlasse, was auch Mühe kostet. Wenn ich solches durchlebt, durchdacht und durchlitten habe, kann ich es neu wagen zu glauben. Und eben darum geht es! Glauben ist immer ein Wagnis. Es gibt keine Messlatte, wo ich einfach ablesen kann, aha, jetzt fange ich an zu glauben. Man muss anfangen, mitmachen, bei allen Zweifeln, Unsicherheiten, dann fängt der Glauben an. Er muss ja nur so groß wie ein Senfkorn sein …

Ich weiß, dass das in unserer Zeit schwer fällt, und doch ist es eindrucksvoll zu sehen, wie oft die, denen es schlecht geht, den Glauben wagen. Vor kurzem las ich von einem Mädchen, das von einer Brücke gesprungen ist und überlebt hat. Trotz der Beeinträchtigungen, die sie nun hat — oder vielleicht auch deswegen — hilft sie nun anderen, die unter Depressionen leiden. Und sie glaubt nun auch an Gott. Irgendwie, sagt sie. Ist das nicht ein Fingerzeig, dass es immer irgendwie einen zweiten Weg gibt? Vielleicht ist er besser als der alte, vielleicht scheint er schlechter, und er zeigt seine Bedeutung erst später, vielleicht ist er kürzer, wahrscheinlich ist er schwerer. Aber es gibt ihn. Ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Welt sich nicht in unseren Planungen, nicht im Greifbaren erschöpft, dass wir keine Hilfskonstruktionen brauchen im Sinne von „Ich glaube an die Menschheit“, sondern einfach an Gott glauben können?

„Stärke unseren Glauben!“, bitten die Apostel. Das ist wohl auch die Sehnsucht vieler heute, wenn es auch nicht unbedingt um den Glauben an Gott, sondern um den Glauben an die Menschheit oder die Zukunft geht. Doch das sind letztlich nur Allgemeinbegriffe, wie soll ich auf sie bauen, ihnen vertrauen? Glauben in diesem tiefsten Sinne des Wortes richtet sich auf Gott. Jesus erinnert daran, dass Stärkung im Glauben eher das Gegenteil ist von dem, was man erwartet: wo ich das höre, was mir nicht gefällt, was mich zum Nachdenken anregt, wo ich mich auf das einlasse, was auch Mühe kostet. Gerade wo es mühsam wird oder gar ausweglos scheint, zeigt sich doch, dass es einen zweiten Weg gibt. Wahrscheinlich ist er schwerer, aber es gibt ihn. Ist das nicht ein Fingerzeig auf Gott hin? Wagen wir es zu glauben, unser Glaube muss schließlich nur so groß sein wie ein Senfkorn …