Gott zu suchen heißt mich selbst ernst zu nehmen

3. Adventssonntag (Lesejahr A; Mt 11, 2–11)

Es gibt zwei Arten von vernünftigen Menschen: das sind die, die an Gott glauben, und die, die im Zweifel sind, aber Gott suchen. Dieses Urteil fällte der Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal, der im 17. Jahrhundert lebte. Pascal war ein mathematisches Genie, er konstruierte eine Rechenmaschine, doch dann verlegte der sich auf die Philosophie, denn seiner Überzeugung nach gab es nicht Wichtigeres als die Frage nach Gott. Ein Mann, der offenbar ebenfalls unsicher ist, aber die Suche nicht aufgibt, begegnet uns im Evangelium des heutigen Sonntags: Johannes der Täufer. Er stellt die entscheidende Frage: Bist du es, Jesus, der da kommen soll? Ist Jesus wirklich der, in dem uns der lebendige Gott begegnet? Weder das harte Urteil Pascals noch die drängende Frage des Täufers sind wohl heute für viele Menschen noch nachvollziehbar. Menschen treibt in diesen Krisenzeiten manches um, aber kaum die Frage nach Gott. Ist es also tatsächlich sinnvoll und vernünftig Gott zu suchen? Ob es weiterhin Kirche in unseren Breitengraden gibt, hängt auch davon ab, ob wir diese Frage beantworten können.

Tatsächlich sucht der Mensch im Laufe seines Lebens ja vieles, er sucht nach dem richtigen Beruf, nach der passenden Wohnung, nach dem passenden Partner. Er sucht nach dem Sinn des Lebens oder einfach nach dem Urlaubsort, der die beste Erholung verspricht. Manchmal sucht der Mensch nach den Antworten auf die großen Fragen des Lebens, manchmal nur das neueste Handy. Mancher wird jetzt vielleicht entgegnen, dass er gar nicht mehr sucht, jedenfalls nichts Wesentliches mehr, höchstens noch die Autoschlüssel, Beruf, Partner, Wohnung — das ist geklärt. So denken wohl viele in unserer Zeit, doch das ist — höflich gesagt — naiv. Diese Haltung setzt voraus, dass die Dinge immer so bleiben, wie sie jetzt sind. Doch alles in dieser Welt ist vergänglich. Haben uns die letzten zwei, drei Jahre nicht gelehrt, dass vieles Vertraute sehr plötzlich verschwinden kann? Nicht umsonst wurde in diesen Tagen als Wort des Jahres „Zeitenwende“ ausgewählt. Die Suche nach dem, was passt, nach dem, was trägt, gehört unausweichlich zu uns Menschen — im Großen wie im Kleinen.

Doch hat diese Suche auch was mit Gott zu tun? Das ist ja in unserem Zusammenhang der Knackpunkt. Gott zu suchen heißt all diesem menschlichen Suchen auf den Grund zu gehen, das Suchen des Menschen radikal ernst zu nehmen und wirklich den letzten Grund zu suchen. Wenn wir jetzt in die Ukraine schauen, wo Menschen um ihr Überleben im ganz wörtlichen Sinne kämpfen, ist es doch offensichtlich, dass nicht nur die westlichen Waffen die Ukrainer stärken, sondern auch, dass sie in ihrem Kampf einen Sinn sehen, dass sie wissen, dass sie um ihre Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen. Wir Menschen brauchen das Tiefere, das alles trägt, das allem Sinn gibt — gerade in existenzieller Not. Die Suche nach Gott heißt die Suche des Menschen radikal ernst zu nehmen, all diesem Suchen des Menschen auf den letzten Grund zu gehen. Wenn ich das nicht wage, nehme ich mich selbst nicht ernst. Gott zu suchen heißt mich selbst ernst zu nehmen.

Als sich vor gut zwanzig Jahren meinen Primizspruch wählte, wählte ich ein Wort aus Ps 69: „Ihr die ihr Gott sucht, euer Herz lebe auf!“ Ich bin ja selbst bereits in einer Zeit aufgewachsen, in der Religion als ziemlich exotisch galt. Letztlich konnte ich das schon als Jugendlicher nicht nachvollziehen. Wie man sich treiben lassen kann, hier und dort zu suchen, den richtigen Job, den passenden Partner, ohne diese Suche wirklich ernst zu nehmen und ihr auf den Grund zu gehen, indem ich die Frage nach Gott stelle — das konnte ich damals nicht verstehen und verstehe es bis heute nicht. Letztlich ist mir hier das eingangs zitierte Wort von Pascal nahe: Ich kann verstehen, wenn Menschen mit Gott ringen, wenn sie mit ihm hadern, ja aufbegehren, wenn sie unsicher sind und Zweifel haben, all das ist zutiefst menschlich und gehört zum Glauben. Im Evangelium haben wir gehört, wie selbst der große Prophet, den Jesus rühmt, unsicher ist und fragen muss. Doch wie man schon die Frage nach dem letzten Grund, nach Gott beiseite schieben kann, das leuchtet mit nicht ein.

Für Johannes den Täufer ist klar, wen er fragen muss. Bist Du, Jesus, der, der da kommen soll? Jesus rühmt ihn sogar dafür, dass er kein Schilfrohr ist, das im Wind schwankt, dass er also offenbar entschieden und klar ist. Für die meisten Menschen ist das heute eher fraglich. Suchen heißt, dass alles offen bleiben muss. Doch das ist ja Unsinn. Wenn ich keine Ahnung habe, wo ich suchen muss, ist die Suche sinnlos. Wenn ich meine Schlüssel irgendwo auf der Welt verloren haben könnte, brauche ich gar nicht erst zu suchen. Eine Suche ist nur sinnvoll, wenn sie irgendwie von einer Ahnung begleitet wird. Warum also Gott in Jesus suchen? Ist es nicht so, dass das, was wir suchen, uns oft näher ist, als wir denken? Dass wir meinen weit weg etwas suchen zu müssen, vielleicht einen Freund, und dann feststellen, dass es einen Menschen in unserer Umgebung gibt, der es gut mit uns meint, den wir aber übersehen haben? Gott ist uns nahe gekommen, ist Mensch geworden in Jesus. Er ist nicht einfach in mir, so dass ich mir den Gott basteln kann, der mir gefällt, er begegnet mir in Jesus als Bruder und Freund.

Ja, es ist sinnvoll und vernünftig, Gott zu suchen. Wir Menschen suchen vieles, den richtigen Beruf, den Sinn des Lebens. Diese Suche ernst zu nehmen, ihr auf den Grund zu gehen, ja mich selbst in meinem Suchen ernst zu nehmen — das heißt Gott zu suchen. Eine Suche kann nur gelingen, wenn ich eine Ahnung habe, wo ich suchen muss. Wir suchen Gott in Jesus, wie es einst Johannes der Täufer tat. Ist es nicht so, dass das, was wir suchen, uns oft näher ist, als wir denken? Gott ist uns nahe, er begegnet uns in Jesus als Bruder und Freund.