Freiheit ist weniger ein Loslassen, viel eher ein Festhalten

4. Adventssonntag (Lesejahr A; Röm 1, 1–7; Mt 1, 18–24)

„Vergiss nicht zu danken dem ewigen Herrn“, vielleicht kennen Sie dieses Lied, das meist dem sogenannten Neuen Geistlichen Lied zugerechnet wird. Ein kirchliche Mitarbeiterin sagte mir mal vor vielen Jahren, dass sie die letzte Strophe des Liedes nicht singen wolle, denn da heißt es , wir seien „zum Glaubensgehorsam befreit“. Das ist natürlich für unsere Zeit eine gewaltige Provokation, Glaube und Gehorsam nicht nur in einem Satz, sondern sogar in einem Wort! Im Internet fand ich tatsächlich — im Rahmen der Vorbereitung dieser Predigt — eine von solcher Anstößigkeit bereinigte Form, wo es zeitgemäßer heißt „zum Dienst bereit“. Enttäuschend, provozierend, erschütternd — oder was auch immer — muss da wohl die Lesung aus dem Brief an die Römer wirken, die wir heute gehört haben. Durch Christus „haben wir Gnade und Apostelamt empfangen, um unter allen Heiden Glaubensgehorsam aufzurichten“, sagt Paulus. Tatsächlich, Glaubensgehorsam zu begründen ist — nach seinen eigenen Angaben — Ziel seines apostolischen Amtes. Und auch das Evangelium macht es uns nicht leichter. Dort begegnet uns der stille, aber eben gehorsame Josef, der Frau und Kind annimmt, wie es der Engel im Namen des Herrn gebietet. Bleibt uns also die Frage: Gehen Glaube und Gehorsam doch irgendwie zusammen?

Paulus verwendet diesen Begriff des Glaubensgehorsams nicht irgendwie nebenbei, sondern an einer im doppelten Sinne programmatischen Stelle. Der Brief an die Römer ist der wichtigste der paulinischen Briefe, er ist auch der längste und ausführlichste, in dem Paulus sein Verständnis des Evangeliums darlegt. Darum steht er am Anfang der Briefe im Neuen Testament. Normalerweise schreibt Paulus an Gemeinden, die er kennt, seine Briefe erinnern an das, was er mündlich vorgetragen hat, und entscheiden Streitfälle, so beispielsweise in den Briefen an die Gemeinde von Korinth. Die Gemeinde von Rom kennt er noch nicht, deshalb ist sein Brief eine ausführliche Darstellung seines Denkens. Was wir heute gehört haben, ist die Eröffnung des Briefs, und in gut paulinischer Manier ist das nicht einfach eine Floskel, sondern — passend zur drängenden Persönlichkeit des Mannes — er bringt hier schon in knapper Zusammenfassung seine Grundgedanken und weist seine apostolische Autorität aus, der auch die ihm unbekannte Gemeinde zu folgen hat. Er ist Apostel, um ihren Glaubensgehorsam zu begründen.

Doch ist Glauben nicht ein Geschehen der Freiheit? Das passt doch nicht zusammen, dass man „zum Glaubensgehorsam befreit“ wird, wie das eingangs zitierte Lied sagt? Gewiss geht es hier um eine Form der persönlichen Entscheidung, wie wir ja auch am Beispiel des heiligen Josef sehen. Doch eben dieses Beispiel zeigt uns auch, dass es um Bindung und Treue geht. Die Folge seiner freien Entscheidung ist, dass Josef sich an Maria und ihr Kind bindet und fortan in Treue zu ihnen steht. Im Lateinischen ist das Wort für Glaube und Treue dasselbe Wort: fides. Erwarten wir als Glaubende nicht Treue von Gott? Wir erwarten, dass er uns hilft, dass er wenigstens Mut und Kraft gibt, wenn der Weg schwierig wird, dass er Hoffnung gibt, dass alles Drückende, Schwere, Bittere nicht das letzte Wort haben wird, sondern die Liebe, die stärker ist als der Tod. Und auch mancher, der nicht viel mit Religion zu tun hat, hofft wohl klammheimlich in den bitteren Stunden auf Gott, ob er nicht vielleicht doch die Treue gehalten hat und zum Helfen bereit ist. Vielleicht hört er wenigstens zu, wenn ich klage, wenn ich die Warum-Frage stelle. Wir erwarten Treue von Gott, aber gibt es auf Treue, die ich erwarte, die ich erhoffe, nicht nur eine sinnvolle Antwort? Treue, auf die ich setze, kann nur mit Treue beantwortet werden. Zweifellos ist Glauben eine freie und sehr persönliche Entscheidung. In Zeiten, in denen die Volkskirche, zu der fast jeder gehörte, mehr oder weniger verschwunden ist, wird dies ohnehin deutlich. Doch Glauben ist eine Entscheidung für Bindung und Treue. Und eben dies meint der Gehorsam des Glaubens. Es geht nicht um eine blinde, irgendwie militärische Folgsamkeit, sondern um ein Hören auf Gott, dem ich treu bin und an den ich mich gebunden habe, weil ich glaube, dass er mir treu ist, dass er nur das Beste für mich will. Die Kirche ist — trotz ihrer Fehler und Sünden — der Ort dieser Treue. Die Kirche in ihrer — manchmal anstößigen — Konkretheit sichert, dass ich nicht einfach ein Gottesbild erschaffe, das mir selbst schmeckt.

Dies ist sicherlich ein Ideal, das oftmals in seiner Konkretheit herausfordernd wird — vorsichtig gesagt. Aber seien wir ehrlich, für welche Bindung gilt das nicht? Außerdem stehen wir — so jedenfalls meine Erfahrung — in Zeiten, in denen wir gerade das Grundsätzliche, Fundamentale unseres Glaubens neu entdecken müssen.

Aber ist diese Bindung, diese Treue nicht doch eine Bedrohung meiner Freiheit? Wie immer kommt es darauf an, was man unter Freiheit versteht. Freiheit scheint vielen zunächst ein Loslassen zu sein. So bin ich frei und ungebunden. Letzteres ist natürlich ohnehin eine Illusion, wir sind immer an Verschiedenes gebunden. Mancher lässt Bindungen eben schnell wieder los und geht neue ein und nennt das dann Ungebunden-Sein. Doch ich glaube, je mehr das Leben fortschreitet, desto mehr ist Freiheit weniger ein Loslassen, vielmehr ein Festhalten, ein Mir-nahe-Halten dessen, was man als wertvoll erkannt hat. Man hat erkannt, wie schnell Dinge vergehen, zerbrechen. So hält man fest, was wichtig ist. Freiheit ist Treu-Sein.

So erscheint der Glaubensgehorsam, den der Apostel Paulus begründen will, vielleicht doch nicht so fremd. Zweifellos ist der Glaube eine freie, persönliche Entscheidung, doch er ist eine Entscheidung für Bindung und für Treue zu Gott. Der Glaubende erwartet doch von Gott Treue, und manchmal erhofft sich wohl selbst der, der nicht so recht glaubt, solche Treue von Gott. Doch auf Treue, die ich erwarte oder erhoffe, gibt es nur eine sinnvolle Antwort: selbst treu zu sein. Es geht nicht um eine blinde, irgendwie militärische Folgsamkeit, sondern um ein Hören auf Gott, dem ich treu bin und an den ich mich gebunden habe, weil ich glaube, dass er mir treu ist und nur das Beste für mich will. Dies verstößt nicht gegen meine Freiheit, denn Freiheit ist nicht einfach ein Loslassen, wie mancher wahrscheinlich meint, sondern vielmehr ein Festhalten, ein Mir-nahe-Halten dessen, was wertvoll, aber zerbrechlich ist.