Kirche ist immer Kirche der Sünder. Und da soll sie Menschen fangen?

5. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C, Jes 6, 1–2a.3–8; Lk 5, 1–11)

Das Evangelium legt es ohne Umschweife offen: „Geh weg von mir; denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr!“, bekennt Petrus, als er Jesus begegnet. Von Anfang an ist klar, dass Petrus Sünder ist, ein Mensch, der Fehler und Schwächen hat. Kirche ist immer Kirche der Sünder. Das soll in keiner Weise verharmlosen, was an Verbrechen in den Reihen der Kirche in den letzten Jahren aufgedeckt wurde — auch von der Kirche selbst —, es soll jenseits der Tagesaktualität den Blick auf ein tieferes, grundsätzliches Problem lenken, das uns hier begegnet. Kirche ist immer — auch in ihren Verantwortungsträgern — Kirche der Sünder. Von Anfang an. Als Petrus sich als sündiger Mensch bekennt, weist Jesus ihn nicht zurück, sondern spricht seine Berufung aus: „Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen.“ Ist das nicht von Beginn an ein Webfehler in der Kirche? Nicht nur, dass Kirche Kirche der Sünder ist, sondern dass die, die Menschenfischer, Verkünder des Glaubens sein sollen, auch und ausdrücklich Sünder sind? Ist da das Glaubwürdigkeitsproblem nicht vorprogrammiert?

Klar, manche Antworten liegen schon auf der Hand: es geht ja gar nicht anders, alle Menschen sind Sünder, niemand ist vollkommen. Außerdem kann es auch ein Vorteil sein, wenn der Verkünder des Glaubens um die menschliche Schwäche weiß usw. Das alles ist zweifellos richtig, und doch bleibt ein Unbehagen, dass der Menschenfischer, den Jesus beruft, immer auch ein Sünder ist, der mit seinen Taten seinen Worten widerspricht.

An dieser Stelle will ich den Blick auf ein Detail lenken, dass leicht übersehen wird. Warum bekennt Petrus eigentlich, dass er ein Sünder ist? Jesus hatte ihn nicht danach gefragt, er hat auch keine Andeutung gemacht, dass er Petrus berufen will, so dass dieser Anlass hätte, auf sein eigenes Ungenügen hinzuweisen. Nein, Schrecken hat ihn, Petrus, ergriffen, heißt es da. Gottesschrecken wird diese Erfahrung auch genannt. Petrus wird von der Gegenwart des Göttlichen, des Heiligen in Jesus in ganz unmittelbarer Weise berührt, und eben dies lässt ihn sein eigenes Ungenügen, das durch die Sünde verstärkt wird, erfahren. Er fällt in der Geste der Anbetung zu Boden und bekennt, dass er Sünder ist. Eine ähnliche Erfahrung begegnet uns in der Berufungserzählung des Propheten Jesaja. Bildreich wird seine Vision des Herrn geschildert, das Berührt-Werden durch die Heiligkeit Gottes, die von den Engeln, den Serafim, ausgerufen wird — mit jenen Worten, die wir in jeder Eucharistiefeier im Heilig-Lied wiederholen. „Weh mir, denn ich bin verloren. Denn ein Mann unreiner Lippen bin ich“, ruft Jesaja aus. Es geht in dieser Erfahrung — vergleichbar der Ehrfurcht — nicht um etwas einfachhin Negatives, gar um Angst vor Gott. Es geht vielmehr um die Tiefe und Kostbarkeit der Erfahrung. Wo der Mensch ernsthaft etwas von der Größe Gottes — hier versagen uns die Worte — ahnt, da wird er von einem Schrecken ergriffen, weil er davon berührt wird, wie klein und ungenügend er vor Gott ist. Man kann diese Erfahrung zumindest ein Stück weit mit dem vergleichen, was man angesichts anderer kostbarer Erfahrungen erlebt, beispielsweise in einer tiefen Freundschaft: wenn man gerade erfahren durfte, dass der andere in sehr schwierigen Zeiten Beistand geleistet hat, vielleicht dafür sogar auf eigene Vorteile verzichtet hat. Ich glaube, da macht man auch die Erfahrung, dass man ein bisschen erschreckt, dass diese Freundschaft etwas so Großes ist, dem man selbst nicht genügen kann — und doch zieht man seine Kraft aus der Nähe des anderen. Das, was den Menschen wirklich erfüllt, ist letztlich immer zu groß für ihn, der Mensch wird nur — im übertragenen Sinne — satt an dem, was ihn übersteigt. Das ist auch ein Hinweis darauf, dass er immer auf Gott bezogen ist. Es ist diese Erfahrung, die Petrus auf die Knie wirft und ihn befähigt, Menschenfischer zu sein. Kirche ist immer Kirche der Sünder, als Kirche der Sünder kann sie aber nur Menschenfischerin sein, wenn es die Erfahrung des Petrus in ihren Reihen gibt. Gibt es aber diese Erfahrung noch? Oder ist Religion längst nur noch Folklore? Der Rahmen, den man für irgendwelche Rituale noch braucht — oder zu brauchen glaubt? Ist Religion nur ein bisschen Trost im Alltag, zur Hand, wenn man ihn braucht? Oder ist Gott der Heilige, dessen Gewandsaum den Tempel füllt und der Jesaja in Schrecken versetzt? Diese Fragen kann nur jeder selbst beantworten.

So muss gerade der Menschenfischer immer von dieser Zweischneidigkeit berührt sein, der Größe und Heiligkeit Gottes und dem eigenen Ungenügen. Doch in dieser Ambivalenz, in dieser Gebrochenheit des Sünders liegt auch eine Chance, vielleicht sogar eine Notwendigkeit — denn letztlich muss er auch eine solche Ambivalenz verkünden. Glauben ist immer ein Trotzdem, man erfährt die schönen Seiten des Lebens, aber auch die Schuld, das Leiden, die bitteren Erfahrungen des Daseins. Das ist die Zweischneidigkeit des Daseins. Dies gilt für jeden Menschen — egal ob religiös oder nicht. Glauben heißt, trotz der bitteren Erfahrungen Gott zu trauen, der selbst am Kreuz gestorben ist. Wer kann in dieser Situation Menschenfischer, Verkünder des Glaubens sein außer dem, der diese Ambivalenz im eigenen ganz persönlichen Dasein erfährt? In meiner eigenen Existenz erfahre ich, dass ich Sünder bin, dass ich vor Gott nicht genüge und trotzdem glaube ich, suche seine Nähe, aus der ich allein leben kann. So kann ich in der Zweischneidigkeit des Lebens Verkünder des Glaubens sein. Auch wenn es nicht nur schöne Erfahrungen gibt — trotzdem glaube ich, dass Gott unser Retter ist.

So ist Kirche immer Kirche der Sünder. Anders geht es nicht. Doch der Menschenfischer Petrus muss zuerst die Erfahrung des Schreckens machen, des eigenen Ungenügens angesichts des heiligen Gottes. Nur wo diese Erfahrung lebendig bleibt, kann die Kirche der Sünder selbst Menschenfischerin sein. Indem ich dieses Ungenügen erfahre, erfahre ich die Gebrochenheit und Zweischneidigkeit meines Daseins. Auch wenn ich vor Gott nicht genüge, lebe ich doch aus ihm. Gerade so kann ich Menschenfischer sein in der Ambivalenz des Daseins, die wir alle erfahren. Trotz der bitteren Erfahrungen glaube ich doch an Gott, der unser Retter ist.