Gejammer und Gemecker nähren die Menschen nicht

Fronleichnam (Lesejahr C; Lk 9, 11b–17)

Manchmal bin ich überrascht, wie aktuell Bibelstellen in gewissen Zusammenhängen sein können. Jesus sammelt die Menschen um sich, doch die Jünger erinnern ihn, dass die Leute etwas zu essen brauchen, es scheint eine Fehlplanung gegeben zu haben. Irgendwo sollen sie sich etwas besorgen. Doch Jesus weist sie mit schlichten Worten zurecht: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Ist das nicht wenigstens ein bisschen wie in der Kirche heute? Irgendwie ist man unzufrieden, es ist nicht mehr so, wie man es gern hätte, nicht mehr wie früher, viele bleiben weg, also soll irgendwer etwas machen, der Papst, die Bischöfe, die Pfarrer — wer auch immer, Hauptsache, es passiert was, es wird besser, am besten wie früher. Doch was ist die Antwort, die Jesus gibt, wenn wir uns beklagen? Gebt ihr ihnen zu essen! Was also haben wir den Menschen zu bieten? Haben wir heute etwas zu geben, das Menschen nährt, das Menschen brauchen?

Immer wenn wir uns beklagen, dass dies und jenes in der Kirche nicht passt, denn man müsste doch endlich mal … dann sollten wir das Wort Jesu hören: Gebt ihr ihnen zu essen! Aber was haben wir denn zu bieten — außer Klagen über Strukturen, über das, was uns an der Kirche nicht passt? Dass das keiner hören will, überrascht ja nicht. Was hatten denn die Jünger zu bieten? Fünf Brote und zwei Fische — aber was ist das für so viele? Doch was sie zu bieten haben, ist immerhin etwas zu essen, nicht ausschließlich Gejammer und Gemecker, auch wenn es für rund 5000 Leute lachhaft wenig erscheint. Was also haben wir zu bieten — so wenig es auch sein mag, so winzig und unscheinbar es auch angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, erscheinen mag?

Letztlich kann die Frage nur jeder für sich beantworten, ich kann nur für mich sprechen — in der Hoffnung, dass manches auch für andere gilt. Ich trage das Verlangen nach Sinn in mir, nach Halt, nach einem Größeren, der mich hält, der heilen und vollenden kann, was die Welt nicht heilen und vollenden kann. Das Leben bürdet einem manche Last auf, tragen kann der, der glaubt, dass in allem ein Sinn liegt, auch wenn man ihn jetzt nicht sehen, nicht in Worte fassen kann. Der jüdische Psychiater Viktor Frankl, der das Vernichtungslager der Nationalsozialisten überlebt hatte, baute darauf eine ganze Therapie auf. Der Mensch kann Leid tragen, wenn er an Sinn glaubt. So hatte er selbst das Lager überlebt. Ich kann diesen Sinn nicht beweisen, aber ich trage das Verlangen nach ihm in mir. Ich trage das Verlangen nach dem Größeren in mir, der heilen und vollenden kann, was die Welt nicht heilen und vollenden kann. Wie gäbe es auch Gerechtigkeit, wie gäbe es Kraft und Mut, Gerechtigkeit wenigstens anzustreben, wenn all die Opfer am Wegesrand der Geschichte von vornherein verloren wären?

Doch was ist das für so viele? So mag man ähnlich wie die Jünger, die zweifelnd auf ihre fünf Brote und zwei Fische starren, anfügen. Wen soll das heutzutage noch interessieren? Und vor allem, wen soll das heute noch mit dem christlichen Glauben in Berührung bringen? Schauen wir darauf, wie Jesus reagiert. Er lässt die Leute sich setzen, er preist Gott für diese Gaben und bricht sie, damit die Jünger sie austeilen. Und was passiert? „Und alle aßen und wurden satt.“ Ein Wunder ist geschehen! Der Herr wandelte das bisschen, das die Jünger hatten, in das, was die Menschen brauchten. Was heißt das für uns? Vielleicht sollten wir auch mal nach dem bisschen schauen, was wir zu geben haben — auch wenn es uns verschwindend gering erscheint angesichts der Herausforderungen, vor denen Kirche heute steht. Vielleicht haben wir doch auch etwas zu bieten: nicht nur Unzufriedenheit, sondern auch etwas an Glauben, Hoffnung und Liebe, vielleicht an Verlangen nach Sinn, der Mut macht. Und vielleicht können wir auch darauf vertrauen, dass der Herr dies wandelt … und alle aßen und wurden satt.

Manchem mag das möglicherweise ein wenig zu verrückt vorkommen, doch ein Blick auf die Gegebenheiten des Lebens kann uns eines Besseren belehren. Auch wer nicht glaubt, muss immer wieder auf eine solche „Wandlung“ zumindest hoffen. Zunächst einmal sind unsere Begabungen uns immer wie ein Keim, ein Anfang gegeben, sie sind zuerst eine Möglichkeit, vielleicht auch eine Wahrscheinlichkeit, mehr aber nicht. Dann kann ich etwas draus machen, aber nie nur ich, sondern auch die Umstände, in denen ich lebe. Ich muss das Glück haben, Menschen zu begegnen, die mich fördern, das Glück, dass meine Talente gerade in dieser Zeit als wertvoll und förderungswürdig angesehenen werden, und die Gegenwart erinnert uns daran, dass es auch das Glück braucht, dass k e i n Krieg ist und man überhaupt überlebt und etwas aus seinem Leben machen kann. Kurz gesagt: was in mir steckt, ist immer ein Anfang, eine Möglichkeit, und hinzu kommen die Umstände, die Gegebenheiten des Lebens, die das, was in mit steckt, entfalten und — ich sage ganz bewusst: wandeln. Auch wer nicht glaubt, muss irgendwie darauf setzen, dass das, was in ihm steckt, entfaltet, „gewandelt“ wird.

Und wenn ich tatsächlich aus dem, was in mir steckt, etwas machen will, muss ich dann nicht auch — bewusst oder unbewusst — darauf vertrauen, dass das Leben eben dies entfaltet, wandelt? Sonst hätte ich wahrscheinlich gar nicht die Kraft, meinen Möglichkeiten zu trauen. Oder anders gesagt: Ich muss irgendwie daran glauben, dass das Leben meine Möglichkeiten wandelt und entfaltet. Ist es dann aber nicht vernünftiger, Gott zu glauben als einfach so verschwommen ins Leben hinein?

Gebt ihr ihnen zu essen!, mahnt Jesus die Seinen, als es darum geht die Menge zu speisen. Wenn wir heute darüber klagen, was uns in der Kirche nicht passt, sollten wir dieses Wort Jesu hören. Vielleicht haben wir noch etwas zu bieten — außer Gejammer? Vielleicht ein bisschen was an Glaube, Hoffnung und Liebe — im Vertrauen, dass der Herr das Wenige wandelt? Auch wer nicht glaubt, muss darauf vertrauen, dass das Leben etwas aus seinen Möglichkeiten macht, sie wandelt. Vielleicht probieren wir es aus, vielleicht macht der Herr auch etwas aus dem bisschen, das wir zu bieten haben …