Gerade der scharfzüngige Prophet verkündet Gottes Gnade

Geburt Johannes’ des Täufers (Jes 49, 1-6; Lk 1, 57-66.80)

Johannes der Täufer ist eine der biblischen Gestalten, von denen man eher weniger hört. Die Erklärung findet man schnell, wenn man ihn näher betrachtet. Er war wirklich ein Prophet, dessen Mund „ein scharfes Schwert" war, wie es die Lesung aus dem Buch Jesaja sagt. Seine Botschaft war warnend, mahnend, ja gelegentlich sogar drohend. Viel sympathischer wirkt da, was uns das Evangelium sagt: „Johannes ist sein Name.“ Das ist der Name, den der Engel dem Vater Zacharias genannt hat, denn dieser Name ist Programm. Übersetzt heißt er: Gott ist gnädig. Das klingt natürlich besser. Gott ist gnädig, gutmütig, mild, dem Menschen zugewandt, bereit zur Vergebung … und dann wird aus diesem Johannes doch so ein Bußprediger. Wie um Himmels willen geht das zusammen? Letztlich ist die Gestalt Johannes’ des Täufers mit dem „gnädigen Namen“ und der mahnenden Botschaft eine Herausforderung an unser Gottesbild: Ist Gott nun der Milde, Gnädige, Gutmütige oder doch der Warnende, Mahnende?

Klar, eine schnelle Lösung liegt auf der Hand. So schwierig es im konkreten Fall ist, so klar ist doch auch, dass es gelegentlich ein Freundschaftsdienst sein kann, den Finger in die Wunde zu legen, auch einmal ein hartes Wort zu sagen, dass dem anderen die Augen öffnen kann. Warum sollte dies nicht auch für die Beziehung Gottes zu uns gelten? Das stimmt ohne Zweifel, aber versuchen wir tiefer zu gehen. Was bedeutet Gnade überhaupt, die Gnade, die Johannes schon mit seinem Namen verkündet? Das Wörtchen „gratis“ gibt uns einen Hinweis. Gratis bedeutet kostenlos, muss nicht bezahlt werden — und wörtlich übersetzt: aus Gnaden. Gnade meint die freie, ungeschuldete Zuwendung Gottes zu uns Menschen, die wir nicht kaufen, nicht bezahlen können. Gnade heißt nicht einfach: ein Auge zudrücken, leben und leben lassen, einfach gutmütig sein. Das ist es, was man sich wohl heute wünschen würde. Wenn Religion überhaupt noch eine Bedeutung haben soll, dann muss Gott oder das Göttliche gutmütig sein: ein bisschen helfen, aber ansonsten jeden nach seiner Façon selig werden lassen. Johannes der Täufer war ganz anders, letztlich ist das ganze Evangelium anders. Es geht um eine Heilsbotschaft, nicht um ein Wellness-Programm.

Gnade bedeutet die ungeschuldete, freie Zuwendung Gottes zu uns Menschen. Es ist der ganze Gott, der sich uns zuwendet: nicht einfach irgendeine Eigenschaft, die uns passt. Es ist der Gott, der uns sucht, der sich sorgt, der uns mahnt, den richtigen Weg zu gehen, der leidenschaftlich für uns brennt, der uns liebt — und gerade deswegen den Finger in die Wunde legt und uns n i c h t in Ruhe lässt. Wagen wir noch einmal den Vergleich mit einer Freundschaft. Welchen Freund würden wir wählen, wenn es um eine tiefe Freundschaft geht, die große Bedeutung für uns hat: den Freund, der uns etwas vorenthält, der uns nur an den guten Tagen sehen will — oder den Freund, der sich uns in seiner Tiefe öffnet und zuwendet, auch wenn das manchmal schwierig ist? Ich vermute und — ganz ehrlich — hoffe für Sie, dass Sie den zweiten wählen würden. Und ist es nicht so, dass in dieser Erfahrung allein schon etwas Stärkendes und Ermutigendes liegt? Ein anderer wendet sich mir zu, in Freud und Leid, in Sorge und Zuversicht, in Wut und Glück. So seltsam es klingen mag, in dieser offenen Zuwendung — auch wenn sie nicht nur angenehm ist — liegt doch schon etwas Ermutigendes und Stärkendes. Wenn dies für unsere menschlichen Beziehungen gilt, um wie viel mehr muss dies für unsere Gottesbeziehung gelten. Es ist der ganze Gott, der sich uns zuwendet — in Liebe und Sorge, in Leidenschaft und Mahnung.

Doch reicht das, um zu glauben, dass Gott es gut mit uns meint? Vielleicht gibt es etwas Größeres, eine Tiefe im Leben, die sich nicht nur auf das erstreckt, was man messen und zählen kann, aber ist es nicht naiv anzunehmen, dass dieses Göttliche es gut mit uns meint? Wir können die Liebe Gottes nicht einfach sicher erschließen, nur Gott kann sich für uns erschließen, kann sich zeigen, offenbaren, wer er ist. Deshalb kündet Johannes der Täufer nicht sich selbst an, sondern zeigt auf einen anderen: auf Jesus. In ihm ist Gott Mensch geworden, um den Menschen seine Liebe endgültig zu offenbaren, und er tut es nicht mit Worten allein, sondern er geht den Weg der Menschen mit — bis ins Leiden, bis in den Tod: äußerste Liebe und Solidarität. Darum braucht es die Frohe Botschaft auch heute: nicht nur dass es Gott gibt, sondern dass er uns liebt, auch wenn diese Liebe nicht bloß allgemeine Gutmütigkeit ist und uns manchmal herausfordert — wie es wahrscheinlich jede wahre Liebe tut.

Und doch können wir in unserer Gotteserfahrung einen Fingerzeig entdecken, der uns hilft diese Frohe Botschaft anzunehmen. Mit dem Theologen Rudolf Otto wird die Erfahrung Gottes manchmal als das Mysterium tremendum et fascinosum beschrieben — als das Geheimnis, das den Menschen zittern lässt und doch anzieht. Wenn wir das Göttliche ahnen, dann ahnen wir eine Tiefe, eine Größe, mehr als alles, was wir uns vorstellen können. Das hat etwas Befremdliches, Unheimliches, vielleicht sogar Beängstigendes, wenn wir uns auf diese Erfahrung einlassen und Religion nicht nur Ansammlung bürgerlicher Rituale bleibt. Doch zugleich hat diese Erfahrung etwas Anziehendes, eben Faszinierendes, der Mensch kann und will diese Erfahrung nicht so einfach loslassen. Irgendwie kann der Mensch eben doch nicht ohne einen letzten Sinn, eine letzte Tiefe leben. Ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Botschaft des Evangeliums von der Liebe Gottes recht hat?

Johannes der Täufer erscheint auf den ersten Blick als zwiespältige Gestalt, doch genauer betrachtet ist er der wahre Wegbereiter des Evangeliums. Gott ist gnädig, so heißt sein Name und gerade so wird er zum scharfzüngigen Mahner und Propheten. Gnade meint die freie, ungeschuldete Zuwendung Gottes, keine lasche Gutmütigkeit, sondern Gott, der sich uns ganz zuwendet — in Liebe und Sorge, in Leidenschaft und Mahnung. In Jesus, auf den Johannes verweist, zeigt er uns durch seine Solidarität bis in den Tod, dass er es gut mit uns meint. Ahnen wir das nicht schon, indem das Göttliche nicht nur befremdet, sondern anzieht? Vertrauen wir dem Fingerzeig des Johannes auf den, der uns rettet. Auf Jesus.