Freiheit kostet etwas. Immer.

Ostern 2022

„Wir erleben eine Zeitenwende. Die Welt danach ist nicht dieselbe wie die Welt davor“, das sagte Bundeskanzler Scholz bei seiner Regierungserklärung nach dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine. Vielleicht ist die Formulierung auch ein wenig zu hoch gegriffen, vielleicht hätte man das auch angesichts der Auswirkungen der Corona-Pandemie sagen können. Zeitenwenden erkennt man erst vollständig im Rückblick, und doch haben wahrscheinlich die meisten Menschen den Eindruck in einer Umbruchszeit zu leben, alte Gewissheiten brechen weg, und neue sind nicht in Sicht. Zu unseren alten Gewissheiten gehört, dass Freiheit ein selbstverständlicher Besitz ist, ein nicht in Frage gestellter Hintergrund, vor dem ich mein Leben gestalten kann. Und nun hören wir, dass Freiheit keine Selbstverständlichkeit ist, dass Freiheit etwas kostet, ja uns noch mehr kosten wird, als wir uns jetzt vielleicht ausdenken können. Man hört gelegentlich sogar einen ganz alten Begriff, denn man ansonsten nur noch in den vergangenen Tagen in den Kirchen hören konnte, so alt, dass inzwischen sich kaum noch jemand darüber lustig macht: Opfer. Wir alle müssen Opfer bringen, um unsere Freiheit zu erhalten, heißt es. Die Umbruchszeit, in der wir leben, zwingt uns zum Nachdenken: Wie kann das sein, dass Freiheit etwas kostet? Und inwiefern kann uns der Glaube an die Auferstehung helfen?

So mag zunächst mancher Zeitgenosse verwundert innehalten: Freiheit, die etwas kostet? Ernsthaft? Zumindest muss man uns einen Moment geben, um das zu verarbeiten. Bisher haben wir doch eher gelernt, dass Freiheit kostenlos ist. Eine Grundbedingung des Daseins wie die Luft zum Atmen, der Rahmen, innerhalb dessen ich mein buntes, selbstbestimmtes Leben führen kann. Und jetzt kostet das was? Wahrscheinlich hat auch bisher schon mancher erfahren, dass Freiheit nicht einfach umsonst ist, sondern auch Geld kostet, wer nicht sprichwörtlich auf Rosen gebettet ist, hat wohl auch schon erkannt, dass ihm manche Freiheit verwehrt bleibt, aber mein Eindruck ist, dass man das dann als Unrecht empfunden hat. Freiheit darf nichts kosten. Sie wird uns in der Verfassung zugebilligt, sie muss eine Selbstverständlichkeit sein. Hier widerspreche ich. Freiheit kostet etwas. Immer. Dass unsere Gesellschaft das übersehen hat, ist wohl einer ihrer größten Fehler. Eine Verfassung kann vielleicht Rahmenbedingungen für Freiheit festlegen, kann den Staat eingrenzen, aber Freiheit zu leben — das heißt immer auch zu bezahlen. Und es wird Zeit, dass wir das verstehen. Freiheit zu leben, heißt den einen Weg zu gehen — und auf den anderen zu verzichten. So bezahle ich. Wenn ich das nicht will, verspiele ich am Ende alles. Im Letzten heißt Freiheit doch, dass ich meinen Weg gehe. Aber mein Weg ist einer unter vielen möglichen. Diesen einen, meinen Weg gehe ich. Auf die anderen verzichte ich. Das mag ein bisschen zu holzschnittartig klingen, es gibt im Normalfall nicht die eine große Entscheidung für einen bestimmten Weg, den ich dann ein Leben lang gehe — aber es gibt die kleinen und großen Entscheidungen, die kleinen und großen Fragen, was in dieser Situation mein Weg ist — und ich muss entscheiden, und das heißt auch verzichten und bezahlen. Das Besondere an der Freiheit ist, dass sie mir nicht quasi als Preis für die Kosten, die ich bezahlt habe, verliehen wird, dass sie nicht eine Belohnung ist, nicht ein Artikel, den ich nach Bezahlung erhalte. Das Besondere ist, dass ich in dem Moment, da ich den Preis der Freiheit bezahle, frei bin. Das Bezahlen, das Verzichten — das ist schon die Freiheit. Die gegenwärtige Zeit lehrt uns, dass Freiheit etwas kostet. Das ist aber nicht etwas, das die neue Zeit mit sich gebracht hat. Wir müssen verstehen: Freiheit kostet etwas. Immer. In dem Moment, in dem ich verzichte, bezahle, bin ich frei. Die Kosten zu bezahlen — das ist Freiheit.

Und was hat das mit Ostern zu tun? Wir sind doch schon mitten drin in dem Geschehen der Kar- und Ostertage, in der Freiheit, die Jesus gelebt hat. Er ist nicht weggelaufen, hat seine Botschaft nicht verraten. Er ist geblieben, ist den Weg zu Ende gegangen bis ans Kreuz. Er hat bezahlt. Er hat sein Opfer gebracht. Das ist Freiheit. Wir feiern in diesen Tagen, dass das Kreuz nicht das Ende ist. Gott hat Jesus auferweckt. Die Freiheit, die Jesus gelebt hat, ist die Freiheit, die ins Leben führt — in das Leben, das stärker ist als der Tod. Die Freiheit, die etwas kostet, steht dank Ostern unter der Verheißung des endgültigen Sieges, des ewigen Lebens. Das ist unsere Frohe Botschaft.

Gerade indem wir verstehen, dass Freiheit etwas kostet, entdecken wir neu die Würde und den Wert der Freiheit. Ist Freiheit nicht oft genug ein Ramschartikel geworden, nach dem Motto: alles ist möglich? Paulus hat das einmal süffisant kommentiert: ja, alles ist erlaubt — aber nicht alles nützt mir. Wo wir uns wieder bewusst machen, dass Freiheit etwas kostet, erhält sie auch einen anderen Status. Sie ist nicht Ramsch, mit dem sich alles machen lässt, sondern etwas Kostbares, sorgsam zu Gebrauchendes. Und auch der Wert des Mutes, der Treue und der Standhaftigkeit wird so deutlich. In den Zeiten des Überflusses werden solche Tugenden verlacht, es ist doch alles kostenlos, umsonst, du kannst jederzeit alles anders machen. Wo alles kostenlos, umsonst ist, ist alles auch in einem anderen Sinne umsonst, also vergeblich. In Krisenzeiten zeigt sich dann der Wert von Mut und Standhaftigkeit, man denke an die Bewunderung, die dem ukrainischen Präsidenten entgegenschlägt. In Krisenzeiten wird man sich bewusst, dass wir von Mut und Standhaftigkeit leben.

Ja, Freiheit kostet etwas. Immer. Indem ich meinen Weg gehe, verzichte ich auf andere Wege und Möglichkeiten. Das Besondere an der Freiheit ist, dass ich sie nicht als Belohnung bekomme, nachdem ich bezahlt habe. Indem ich bezahle, verzichte, bin ich frei. Die Kosten zu bezahlen — das ist Freiheit. So sehen wir, dass Freiheit einen Wert und eine Würde hat, kein Ramschartikel ist. So begreifen wir, dass wir auch von Mut und Treue leben. Das ist die Freiheit, die Jesus gelebt hat — bis ans Kreuz. Seit Ostern steht die Freiheit, die etwas kostet, unter der Verheißung des ewigen Lebens. Das ist unsere Frohe Botschaft.