In gewisser Weise gründet die Kirche auch auf uns

Hochfest der Apostel Petrus und Paulus (Mt 16, 13-19)

Ein gewisses Unbehagen scheint dieser Tage unausweichlich zu sein, wenn man die Worte des Evangeliums hört: „Du bist Petrus — der Fels — und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“ Im Moment macht die Kirche — zumindest in unseren Breitengraden — tatsächlich einen eher „überwältigten“ Eindruck. Von der Sicherheit einer „auf Fels gebauten“ Kirche ist wenig zu spüren. Und müsste nicht überhaupt Christus der Fels sein? Nicht Petrus, der ja nach Überlieferung der Evangelien selbst sich als durchaus wankelmütiger Zeitgenosse herausstellt? Unsere stürmischen Zeiten drängen uns die Frage geradezu auf: Was ist denn nun der Fels, auf dem die Kirche sicher und standfest gebaut ist?

Vielleicht ist es ja einfach der Mensch in seiner Suche, auf dem die Kirche gründet? Gewiss, der verändert sich durch die Jahrhunderte, aber ist Kirche nach einem alten Wort nicht auch immer „ecclesia semper reformanda“, stets zu verändernde Kirche? Das ist es doch, was viele heute wollen und anstreben. Irgendwie werden wir uns schon einigen, was Kirche heute sein soll. Wir haben ja das Gespür für die Nöte der Zeit, oder? Der Blick ins heutige Evangelium sollte uns da eines Besseren belehren. Als Jesus fragt, für wen ihn die Leute halten, kommt bestenfalls eine Ahnung heraus, irgendein Prophet halt, vorzugsweise von den Toten auferstanden, ein bisschen Wunder-Würze möchte man schon dabei haben. Nein, es ist Petrus, der den Nagel auf den Kopf trifft: er ist Christus, der Gott-Gesandte, der Sohn Gottes. Es gibt manches Bild über die Kirche im Neuen Testament, Jesus wird als Eckstein der Kirche bezeichnet, oder das Bild vom Leib mit den vielen Gliedern und Jesus ist das Haupt. Jedes zeigt einen Aspekt, hat seinen Blickwinkel und seine Berechtigung. Bleiben wir beim Bild dieses Evangeliums und fragen nach dem Fels der Kirche, so könnte man vielleicht sagen: Der Fels ist auch der glaubende Mensch, der in der Beziehung zu Gott steht, der sich ihm in Jesus offenbart — so wie er uns in Petrus begegnet. „Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel“, sagt Jesus. Dieses In-Beziehung-Stehen zum lebendigen Gott ist kein Selbstläufer, wie die zahlreichen Missverständnisse, die im Volk über Jesus kursieren, zeigen, deshalb hat die Kirche unter anderem aus dieser Bibelstelle die Notwendigkeit eines bleibenden Petrus-Dienstes in Form des Papsttums abgeleitet, doch an dieser Stelle will ich einer anderen Spur folgen.

Der glaubende Mensch in der Beziehung zu Gott, der sich ihm in Jesus offenbart, als Fels der Kirche: Warum wankt dieser Fels? Der Mensch unserer Zeit — so meine Beobachtung und Erfahrung — hat möglicherweise noch Interesse an der Suche nach dem Größeren, nach dem Göttlichen, aber diese Suche muss ewig unabgeschlossen bleiben, im Vagen und Offenen. Dass Gott, wie das Evangelium uns sagt, sich offenbart, sich zeigt, dass Gott zwar immer der Größere bleibt, und doch in Jesus ein menschliches, erfahrbares, verbindliches Antlitz bekommt, scheint vielen Zeitgenossen kaum glaublich. Gott, der nach mir ausgreift, der mich ergreift, sich mir zeigt? Nein, danke! Kein Wunder, dass die Kirche zu wanken beginnt …

Warum diese Ablehnung? Der Mensch erfährt seine Überforderung in einer komplizierten Welt, er spürt seine Verletzlichkeit, denn er hat zu viel gesehen, zu viel erlebt: Streit um Religion, Gewalt, neue Entdeckungen, die die Gewissheiten der Vergangenheit erschüttern. Endgültige Bindungen führen über kurz oder lang zu Enttäuschungen, besser man bleibt offen, unterwegs, lässt sich nicht zu sehr auf etwas ein. Doch liegt in dieser Verletzlichkeit, die der Mensch in all seinen Enttäuschungen erfährt, nicht der Schlüssel? Verletzlichkeit zu erfahren heißt doch ergriffen zu sein — ob ich es will oder nicht. Ergriffen zu sein von einem Größeren, den ich nicht fassen, aber auch nicht einfach bestreiten kann — wie sonst wüsste ich um meine Verletzlichkeit? Ergriffen sein heißt in einer Tiefe berührt zu sein, angegangen, betroffen zu sein, eine Erfahrung, die ich nicht einfach abstreifen kann, ohne etwas von mir selbst zu verlieren. Gehört diese Erfahrung in unterschiedlicher Intensität nicht zum Menschsein dazu? Erfahre ich meine Verletzlichkeit nicht gerade im Ergriffen-Sein? Offenbarung, Gott, der sich zeigt, das ist sicher nicht einfach ein Ergriffen-Sein unter anderen, und doch ergreift er uns in Jesus: „Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel.“

Letztlich ist die ganze Offenheit, die Menschen heute behaupten, häufig nur eine andere Form des Abschlossen-Seins. Man will unterwegs bleiben, nicht ankommen, will nicht in der Tiefe ergriffen sein. Das bedeutet aber auch, dass man sich Herausforderungen nicht stellen kann — jedenfalls nicht in ihrer ganzen Tragweite. Schon die Sprache verrät das. Wenn mich etwas oder jemand herausfordert, dann muss ich meine Aufmerksamkeit in eine bestimmte Richtung konzentrieren. Ich bin gefordert, aus meiner Bequemlichkeit herauszutreten. Und ich muss mich so dieser Herausforderung stellen. Sich Stellen heißt aber eine Position beziehen, bewusst Stellung nehmen und nicht sich alles offen halten. Wer sich immer alles offen halten will, im Ungefähren bleiben will, schließt sich in Wirklichkeit ab und kann sich so den Herausforderungen des Lebens nicht stellen.

Kirche ist nach dem Zeugnis des Neuen Testaments gewiss keine Gründung des Menschen, das heutige Evangelium sagt, dass Jesus seine Kirche baut, aber in gewisser Weise gründet sie doch auch auf uns Menschen, ohne uns gibt es Kirche nicht. Das Bild des heutigen Evangeliums aufgreifend ist auch der glaubende Mensch, der in Beziehung zu Gott steht, der sich ihm in Jesus offenbart, der Fels der Kirche. Der Mensch unserer Zeit tut sich schwer mit Offenbarung, alles soll offen, unabgeschlossen bleiben, zu sehr ist man schon überfordert, verletzt und enttäuscht worden, wo man sich zu sehr eingelassen hat. Aber spüren wir nicht unsere Verletzlichkeit, weil wir ergriffen worden sind, weil wir in der Tiefe berührt sind, ohne diese Erfahrung einfach abstreifen zu können? Wir müssen uns Herausforderungen stellen, d.h. Stellung nehmen, nicht einfach alles offen halten. Lassen wir zu, dass Gott uns ergreift, berührt und vertrauen wir seiner Zusage, dass nichts uns überwältigen kann, wenn wir in ihm gründen.