Gottessuche braucht Gemeinschaft!

5. Fastensonntag (Lesejahr B, Jer 31,31-45; Joh 12,10-33)

„Mein Glaube gehört mir!“, so könnte man heutzutage wohl die Haltung der meisten Menschen, die noch einen Bezug zum Thema Religion haben, zusammenfassen. Glaube ist Privatsache, da braucht es keine Belehrung. Diese Überzeugung scheint durch die Lesung aus dem Buch Jeremia bestätigt zu werden: „Keiner wird mehr den anderen belehren, . . . , sondern sie alle . . . werden mich erkennen – Spruch des Herrn.“ Ist wieder einmal das passiert, was man der Kirche ständig vorwirft: dass sie ihren eigenen Wurzeln untreu geworden ist? Darf bzw. kann mich jemand über den Glauben, über meinen Glauben belehren?

„Sie alle werden mich erkennen“, so verkündet Jeremia die Worte Gottes. Was aber heißt überhaupt „erkennen“? Erkennen ist immer eine Art von Begegnung. Gott erkennen – das ist eine besondere Form der Begegnung, sie bedeutet nicht, ihn zu analysieren, also gedanklich in Einzelteile zu zerlegen, sondern, von ihm berührt und in gewisser Weise in Bewegung gesetzt zu werden. Auch in anderen Zusammenhängen gibt es dieses besondere Erkennen, das nicht ein verstandesmäßiges Zerlegen, sondern eben ein Berührt- und Verändert-Werden ist, z.B. wenn ich von einem Kunstwerk intensiv angerührt werde. Immer vollzieht sich Erkennen als Begegnung in einem größeren Zusammenhang. Wenn sie beispielsweise eine Sprache von einem Lehrer lernen, so geschieht das gewiss in der Begegnung mit ihm – vielleicht auch mit anderen, die mit ihnen lernen –, aber es steht immer auch die Kultur und die Mentalität des Landes, dessen Sprache sie lernen, gewissermaßen mit im Raum. Wenn Sie eine Sprache lernen, tun Sie das nicht nur in der Begegnung mit Ihrem Lehrer oder anderen Schülern, sondern Sie tauchen ein in die Kultur eines Landes, die von vielen Menschen geprägt wurde. Erkennen, verstehen, lernen – das ist nie nur eine einsame oder zweisame Angelegenheit, das geschieht immer in einem größeren Zusammenhang, in einer Lehr- und Lerngemeinschaft. Das gilt auch für das Erkennen Gottes. Das Evangelium führt uns das klar vor Augen: da sind einige Griechen, die Jesus sehen wollen. Was machen sie? Sie gehen zu einem Jünger Jesu und suchen Vermittlung. Dieser Jünger entstammt – sein Name legt das nahe – offenbar ebenfalls dem griechischen Sprach- und Kulturraum. Erkennen, verstehen, lernen, das ist nie etwas Einsames oder im schlichten Sinn Unmittelbares, sondern immer auch ein Vermittlungsprozess, der durch Bekanntes und Unbekanntes hindurchführt. Um Gott zu erkennen, brauche ich eben auch – wie diese Griechen im heutigen Evangelium – Begleitung, Vermittlung und – ich wage, es zu sagen – auch Lehrer des Glaubens.

Nun mag mancher das zugeben und reibt sich dennoch daran, dass es ein kirchliches Lehramt gibt, das ja durchaus mehr ist als eine Art Lerngemeinschaft, sondern beansprucht, mir etwas zu sagen zu haben. Ohne an dieser Stelle eine Theologie des kirchlichen Lehramtes entfalten zu können, scheint mir der Grund für eine solche Abneigung an anderer Stelle zu liegen, als er vielleicht manchmal vermutet wird. Das Christentum ist eine Offenbarungsreligion, d.h. es behauptet, dass Gott sich in einer bestimmten Weise im Laufe der Geschichte gezeigt hat. Dieses Sich-Zeigen Gottes ist nicht durch meine innere Erfahrung zu ersetzen, es tritt von außen an mich heran und muss von mir – wenn ich Gott erkennen will – angenommen werden. Glaube ist eben nicht einfach Privatsache, die sich in meinem Inneren abspielt, sondern Glauben wird erst möglich durch Gott, der sich offenbart, d.h. von außen an mich herantritt. Ist so eine Sicht der Dinge heute noch vermittelbar?

Denken wir an unsere Begabungen: wie oft empfindet ein Mensch – auch wenn er gar nicht religiös ist – diese als Geschenk? Ist es nicht so, dass der Mensch gerade dann Erfüllung findet, wenn er diese Begabungen lebt, nicht einfach nur, wenn das Leben bequem für ihn ist? Ist das nicht ein Hinweis darauf, dass diese Begabungen uns geschenkt sind, dass wir eine Berufung haben, dass unsere Begabungen Auftrag eines Größeren sind? Gewiss könnte mancher das abtun als Zufall oder falsche Bewertung, aber mir scheint das schon das Ergebnis einer Betrachtung durch eine antireligiöse Brille. Das unmittelbare Empfinden ist doch viel eher, dass das Leben Geschenk ist, dass wir Werte und Wahrheit und Ewigkeit immer schon irgendwie voraussetzen, wenn wir handeln. Doch wo ein Geschenk ist, muss einer sein, der schenkt, wo Berufung ist, muss einer sein, der ruft, wo Ewigkeit ist, muss einer sein, der ewig ist: Gott. Wer die Welt und den Menschen mit offenem, lauteren Blick anschaut, kann den Bezug des Menschen zu Gott erkennen.

Jesus deutet seinen Tod durch das Bild vom Weizenkorn, das in die Erde fällt und Frucht bringt. Ist das nicht in gewissem Sinne auch das Wesen der Wahrheit? Wahrheit bedeutet doch, dass uns die Wirklichkeit bzw. die Welt so entgegentritt, wie sie ist, dass sie sich unserer Erkenntnis gewissermaßen selbstlos öffnet, ja hingibt. Wenn ein Mensch sich für einen anderen einsetzt, ohne auf eigene Verluste zu achten, ja sogar das Leben riskiert, dann wird am besten sichtbar, wer er wirklich ist, dann fallen alle Masken des Alltags, die Wahrheit über ihn zeigt sich. Das Wesen der Wahrheit ist Hingabe, die Welt, die sich öffnet für uns, sich gewissermaßen hingibt. Darum ist der Gott Jesu Christi, dessen Wesen es ist, sich zu geben und zu schenken, der uns diese Welt und unser Dasein in jedem Augenblick schenkt, darum ist er die Wahrheit schlechthin, ist er der wahre Gott, der Grund des Daseins – ob ein Mensch darum weiß oder nicht.

Wo nicht gelehrt und eben auch nicht gelernt wird, da ist Gott nicht zu finden. Erkennen, verstehen, lernen, das ist nie etwas Einsames oder Zweisames, es braucht den größeren Zusammenhang, die Lerngemeinschaft. Doch das reicht nicht aus. Glaube ist nicht nur inneres Erleben, sondern Begegnung mit Gott, der von außen an mich herantritt. Doch was wird nun aus der Vision des Propheten Jeremia? Diese Vision ist – so meine ich – eine Hoffnungsvision, aber Hoffnung, die schon erfüllt ist, ist keine Hoffnung, sagt Paulus. Jeremia drückt die Zuversicht aus, dass sich unser Leben in Gott vollenden wird, so dass mir niemand mehr zusagen braucht, da ist Gott, weil ich ganz und gar in Gott und durch Gott bin.