Nur wo Inhalt ist, kann der Mensch Halt finden

29. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C; 2 Tim 3,14-4,2; Lk 18,1-8)

Ein ungewohnt skeptischer Jesus begegnet uns im heutigen Evangelium. Welche Zukunft hat der Glaube noch?, fragt er sich — sinngemäß zitiert. Eine Frage, die heutzutage noch an Dringlichkeit gewonnen hat. Die aktuelle Shell-Studie, eine regelmäßig durchgeführte Umfrage unter jungen Menschen, gibt an, dass zwar rund 75% der katholischen Jugendlichen es grundsätzlich für wichtig halten, dass es Kirche gibt, aber immer weniger von ihnen haben persönlichen Kontakt zur Kirche oder zum Thema Glauben. Und in diese schwierige Situation hinein trifft das Wort der Lesung aus dem Neuen Testament: „Verkünde das Wort . . ., ob gelegen oder ungelegen . . . weise zurecht . . . ermahne!“ Ist Glauben — wenn es ihn überhaupt gibt — nicht eine höchstpersönliche Angelegenheit? Das zarte Pflänzchen „vielleicht glaube ich schon“ wird nach Meinung mancher durch den Anspruch von Kirche, bestimmte Inhalte zu verkünden, ja sogar zurechtzuweisen, erstickt. Verträgt sich also Glaube mit so was wie Verkündigung oder gar Zurechtweisung durch jemand anderes? Oder ist Glaube nicht eine höchstpersönliche Angelegenheit, die niemanden — auch nicht die Institution Kirche — etwas angeht?

Das Neue Testament gibt darauf eine recht eindeutige Antwort, eine Antwort, die vielleicht auch deshalb nicht bekannt ist, weil eben dieses Neue Testament kaum bekannt ist. Die Evangelien sind umfangreicher, als man denkt, und die Briefe, die auch zum Neuen Testament gehören und denen die zitierte Lesung entnommen ist, werden sowieso kaum wahrgenommen. Hier wird klar bezeugt, dass christlicher Glaube zustimmende Antwort auf die Frohe Botschaft ist, die in Jesus begegnet, letztlich ein Ja zu Jesus selbst. Dieser begegnet uns mit seiner Botschaft im Zeugnis des Neuen Testaments und der Kirche.

Mir ist durchaus klar, dass diese Antwort für viele nicht mehr überzeugend ist und höchstens gleichgültiges Schulterzucken auslöst. Die Kirche hat selbst durch ihre eigenen Fehler und Sünden zum Verlust dieser Glaubwürdigkeit beigetragen. Versuchen wir es also anders. Glaube ist tatsächlich zunächst eine höchstpersönliche Angelegenheit. Glaube beginnt als die Suche nach einem Halt im Leben. Natürlich sucht der Mensch diesen Halt zunächst bei anderen Menschen, doch irgendwie genügt dies nicht. Ein kleines Mädchen sagte mir mal, sie bete gerade dann, wenn die Eltern nicht da seien. Gerade wenn er allein ist, sich möglicherweise verlassen fühlt, braucht der Mensch einen Halt. Der Mensch sucht diesen nicht nur in sich, sondern auch in der Welt, in dem, was ihm begegnet. Anders gibt es Menschsein nicht als im Gespräch, in der Auseinandersetzung, in der Begegnung mit der Welt. So ist diese Suche nach einem Halt immer auch ein Annehmen, ein Bejahen von etwas, das mir begegnet, das auf mich zukommt. Eine Stunde in der freien Natur, das Hören von Musik, ein unerwartetes gutes Wort, das ich irgendwo lese — all das mögen Erfahrungen sein, die mir begegnen und zum Halt werden, die mein Vertrauen ins Leben stärken. Manchem mag das genügen, und es ist dann seine Form von Glauben. Mir genügt es nicht. Wenn Glauben ein Suchen und Finden von Halt, ein Ja, das ich zu einer solchen Erfahrung des Gehalten-Werdens spreche, dann frage ich: wer hält, wer begegnet mir, wer wendet sich mir zu? Wenn es heißt, gute Erfahrungen sind einfach Zeichen eines Größeren, Zeichen, dass es vielleicht etwas Göttliches gibt — dann stellen mich diese Antworten nicht zufrieden. Solche Antworten sind schwammig und unklar und rechnen wohl damit, dass man nicht weiter nachfragt. Glauben ist Antwort auf ein Wort, das an mich gerichtet ist, das Ergreifen einer Hand, die zu mir ausgestreckt ist. Die Sonne, die scheint, ist das nicht, sie scheint, auch wenn ich im Bett bleibe, das Musikstück, das mich berührt, ist das nicht, weil der Komponist und der Musiker mich gar nicht kennen. Wenn es das Wort nicht gibt, das sich an mich richtet, die Hand nicht gibt, die sich nach mir ausstreckt, dann bleibt nur Zufälliges, Unklares — eben kein Halt, auf den ich bauen kann, nichts, was die Bezeichnung Glauben verdient. Glaube ist wie eine tiefe Begegnung — etwas sehr Persönliches und doch immer auf den anderen ausgerichtet, der mich berührt.

Und so sind wir doch wieder beim Zeugnis des Neuen Testaments. Es gibt dieses Wort, das sich an mich richtet, die Hand, die sich nach mir ausstreckt. In Jesus kommt Gott auf mich zu, richtet in Jesus, in seiner Frohen Botschaft sein Wort an mich. Damit dies aber nicht verschwimmt, sich schnell wieder ins Beliebige auflöst, braucht es die Urkunde dieses Wortes, die wir Bibel nennen, und es braucht Menschen wie Paulus oder Timotheus, an den sich die Lesung richtet, die diese Worte lebendig werden lassen — auch einmal in Form der Ermahnung, damit nicht jeder hört, was er hören will. Nur wo es Inhalt gibt, gibt es auch Halt — nicht im Verschwommenen. Das alles klappt nicht immer hervorragend, weil auch die Kirche aus Menschen besteht, aber es ist der beste Weg, den ich kenne. Wenn ich anderswohin gehe, werden mir auch wieder Menschen mit Stärken und auch mit Schwächen begegnen. Es braucht manchmal ein Ringen um den richtigen Weg, während ich heute — auch in kirchlichen Zusammenhängen — den Eindruck habe, jeder, egal wo er sich verortet, weiß alles ganz genau, das ist nicht Dialog. Die Beziehung zu Gott braucht auch Standhaftigkeit und Ausdauer, wie Jesus in seiner kleinen Geschichte vom Richter und der Witwe vielleicht auch mit Augenzwinkern andeutet.

Glaube, Verkündigung und Ermahnung — das passt nicht nur zusammen, es gehört zusammen. Die Suche nach Halt greift ins Leere, bleibt dem Spiel des Zufalls überlassen, wenn es nicht eine Hand gibt, die sich gerade nach mir ausstreckt, ein Wort, das sich an mich richtet. Die Sonne, die scheint, ist das nicht, sie scheint, auch wenn ich im Bett bleibe. Es bleibt nur Zufälliges, Unklares — eben kein Halt, auf den ich bauen kann, nichts, was die Bezeichnung Glauben verdient. Als Christen glauben wir, dass sich in Jesus diese Hand nach uns ausstreckt, das Wort begegnet, das sich an uns richtet. Nur wo Inhalt ist, ist auch Halt. Das Ja zu Jesus ist Glauben.