Das Ungleichgewicht zwischen menschlichen Boten und der göttlichen Botschaft

5. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A; 1 Kor 2,1-5; Mt 5,13-16)

„Ihr seid das Licht der Welt . . . So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen“ — diese Worte Jesu fordern heutzutage geradezu Hohn und Spott heraus. Eine Kirche, die in den Grundfesten erschüttert ist, die für viele Menschen keinerlei Glaubwürdigkeit mehr besitzt, als Licht der Welt, das die Menschen zu Gott führt?! Geht’s noch? Doch wenn man einmal die Leidenschaften des Augenblicks beiseite lässt und versucht das ganze Bild in den Blick zu bekommen, zeigt sich, dass es letztlich nie so viel  anders war. Gewiss wo die Kirche Macht hatte, blieb die Kritik unter der dem Deckel, aber letztlich gibt es immer die Erfahrung, dass die Boten des Evangeliums dieser gewaltigen Botschaft mit ihrem ungeheuren Anspruch nicht gewachsen sind. Hat unsere Zeit nicht recht, dass schwache und fehlerhafte Menschen einfach nicht Verkünder einer Botschaft sein können, die von Gott kommt und deshalb Glauben und Gehorsam fordert? Ist das Ungleichgewicht zwischen sündigen, fehlerhaften Boten und dieser göttlichen Botschaft, die Glauben fordert, nicht so gigantisch, dass wir einfach nicht glaubwürdig sein können?

Lassen Sie uns in dieser Situation auf Paulus schauen, denn er ist der Verkünder des Evangeliums in der Urkirche schlechthin und offenbar hat man ihm in der Gemeinde von Korinth ähnliche Vorwürfe gemacht. Ja, ihr habt recht, sagt Paulus seinen Gegnern. Er übertreibt es sogar, indem er sich selbst quasi schlecht macht, denn die Briefe des Paulus sind tatsächlich „gelehrte Weisheit“ und tiefgründige Zeugnisse unseres Glaubens. Ich mag eine lächerliche Gestalt sein, entgegnet Paulus, aber irgendwie passt das, dann stehe ich dem, worauf es ankommt, nicht im Weg: der göttlichen Botschaft. I h r sollt ihr glauben, nicht meinem charmanten Auftreten. Indem ich unscheinbar bin, kann das Eigentliche scheinen: die göttliche Botschaft, das Licht des Evangeliums. Jesus sagt einmal an anderer Stelle, dass er selbst das Licht der Welt ist. Licht der Welt — wie er es im heutigen Evangelium sagt — können wir also nur sein, wenn wir es wie Paulus machen: den Herrn selbst durchscheinen lassen, wenn wir nicht den Eindruck erwecken, dass es auf uns ankommt, wenn wir zu unseren Schwächen und auch zu unserer Schuld stehen, weil das in diesem Zusammenhang nicht zählt, weil es auf ihn, Christus, und seine Botschaft ankommt. Das ist zweifellos leichter gesagt als getan, aber ich glaube, die Menschen haben — damals wie heute — ein feines Gespür dafür, ob man das als Floskel meint oder ob man es ernst meint. Paulus war durchaus ein Mann von einem größeren Selbstbewusstsein, als es die wenigen Zeilen, die wir heute gehört haben, nahelegen, aber in seinem Innersten war er wohl tatsächlich davon überzeugt, dass es nicht auf ihn, sondern auf Christus ankommt, dass es eine Chance ist, dass er ein schwacher Mensch ist: er ist unscheinbar, damit durch ihn der scheinen kann, auf den es ankommt — Christus, das Licht der Welt.

Ich bin überzeugt, dass wir heute dieses Beispiel des Paulus brauchen, der mit Geduld und indem er sich zurücknahm, für das Evangelium geworben hat. Ich glaube, dieses Sich-Zurücknehmen muss heute darin bestehen, dass wir eher Fragen stellen, als vorschnell Antworten geben — die am Ende keiner hören will. Die einen wollen die Antworten so geben, wie sie die Kirche bisher gegeben hat, die aber an vielen Leuten — seien wir ehrlich — nur noch abprallen. Die anderen wollen einfach die Antworten geben, die eine Mehrheit heutzutage hören will. Beides halte ich für falsch. Christi Botschaft war immer Stachel im Fleisch, Provokation und Herausforderung — weder war sie einfach von gestern noch war sie sanfte Bestätigung. So müssen auch wir Herausforderung sein, wie es Paulus für seine Zeitgenossen war. Wir müssen Fragen stellen, die herausfordern: Sind Konsum und Freizeit alles — oder entsteht so nur eine Leere, die man überdecken muss? Heißt Freiheit wirklich nur zu tun und zu lassen, was ich will, oder ist sie nicht eher die Suche nach mir selbst, nach dem Auftrag, der in meinen Begabungen und Möglichkeiten liegt? Was ist verbindlich in unserer Gesellschaft und eben deswegen das Verbindliche, ohne das es nicht geht? Kann ich wirklich das Leben bewältigen ohne eine Hoffnung, die größer ist als diese Welt?

Doch trotz all dem bleibt für viele ein Hindernis: das Ungeheure dieser göttlichen Botschaft, die Glauben und Gehorsam verlangt. Das Ungleichgewicht zwischen den fehlerhaften Boten und der ungeheuren göttlichen Botschaft ist einfach zu groß. Vielleicht besteht ein Teil des Problems darin, dass wir solche Ungleichgewichte zu oft in einer verschwommenen, unklaren und oft unehrlichen Weise erleben. Da ist eine gesellschaftliche Stimmung, eine gesichtlose Mehrheit, die von uns fordert, man müsse so oder so denken — und das obwohl eigentlich immer von Freiheit die Rede ist. Oder der Anspruch des Arbeitgebers, den man als unehrlich erlebt, dem man aber folgen muss, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Oder der Anspruch eines Weisheitslehrers, der dies oder jenes predigt, aber am Ende vor allem seine Bücher und seine Kurse verkaufen will. Ist da nicht doch die Haltung des Paulus die ehrlichste? Dass ich eingestandenermaßen schwach und fehlerhaft bin, dass es eben auf mich letztlich auch nicht ankommt, dass ich unscheinbar bin, damit er, Christus, das wahre Licht, scheinen kann? Kann es bei einer göttlichen Botschaft denn anders sein, als dass ein Mensch schwach und klein daneben erscheint?

„Ihr seid das Licht der Welt!“, sagt Christus, wir können es nur sein, wenn er durch uns scheint, wenn wir uns — wie Paulus — zurücknehmen. In unserer Zeit bedeutet das — so glaube ich —, dass wir eher Fragen stellen, als vorschnell Antworten geben. Kann ich wirklich das Leben bewältigen ohne eine Hoffnung, die größer ist als diese Welt? Ständig sind wir Situationen ausgesetzt, in denen ein seltsames Ungleichgewicht zwischen Bote und Botschaft besteht, indem beispielsweise eine gesichtlose gesellschaftliche Mehrheit von uns dies oder jenes fordert. Ist da die Haltung des Paulus nicht die ehrlichste: ja, ich bin fehlerhaft, schwach und unscheinbar — damit der scheinen kann, auf den es ankommt: Christus, das Licht der Welt.