Eine Kirche, die nicht meinen Vorstellungen dient, dient zu nichts!

25. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B; Mk 9, 30-37)

„Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts“ — dieses Zitat des französischen Bischofs Jacques Gaillot kann man immer wieder hören. Ein Wortspiel, mit dem man locker und wortgewandt Kirche kritisieren kann. Zumindest zwischen den Zeilen wirft man so der Kirche vor, zu sehr um sich selbst zu kreisen, vielleicht auch zu machtgierig zu sein. Vielleicht ist das ja auch tatsächlich der Fall, mein Eindruck ist jedoch, dass viele, die dieses Zitat gern und häufig im Munde führen, eigentlich sagen wollen: Eine Kirche, die nicht meinen Vorstellungen und Zielen dient, dient zu nichts mehr, ist also überflüssig. Was ist denn mit der dienenden Kirche gemeint? Irgendwie scheint das eine Art leerer Behälter zu sein, in den jeder das hineintut, was ihm wichtig ist: die Sorge um die Armen, den Schutz des Klimas oder die Verteidigung des christlichen Glauben in einer zunehmend feindlichen Umwelt. Das, was i c h gerade jetzt als wichtig ansehe, das ist der Dienst, den die Kirche heute dringend und unverzichtbar an den Menschen tun muss. Ist das Wort von der dienenden Kirche also nur ein leeres Wort, das jeder nach Beleben füllen kann? Was ist die dienende Kirche?

Seien wir ehrlich, zu dienen ist nicht gerade eines der tiefsten Bedürfnisse des Menschen — vorsichtig gesagt. Das Naheliegende ist der Wunsch des Menschen groß zu sein, Einfluss zu nehmen, Wegweisendes zu sagen oder zu tun. So geht es auch den Jüngern. Sie sprechen darüber, wer von ihnen der Größte sei. Doch als Jesus sie anspricht, ist ihnen gleich klar, dass das Kritik hervorrufen könnte, irgendwie dreht sich seine Verkündigung ja nicht gerade darum, wie man Macht und Einfluss gewinnt. Doch Jesus reagiert anders, als man möglicherweise erwarten würde. Er rügt seine Jünger nicht, er macht ihnen keine Vorwürfe, er kritisiert nicht, dass sie überlegen, wer der Größte sei, sondern sagt schlicht: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.“ Ich will an dieser Stelle keinesfalls den — ohnehin unmöglichen  — Versuch wagen dieses Jesus-Wort in seiner ganzen Tiefe auszuloten, sondern nur versuchen ein paar Anstöße für unsere Frage nach der dienenden Kirche zu finden. Möglicherweise ist das Jesus-Wort auch ein Impuls, den Blickwinkel zu wechseln. Wenn ich der Größte sein will, ist es zuerst einmal das Gegenteil davon der Diener aller zu sein. Wenn mir etwas sehr wichtig ist, was mache ich, wenn mir plötzlich alle gewohnten Mittel fehlen, das mir Wichtige umzusetzen? Wäre es mir dann immer noch wichtig? Würde ich nach anderen Wegen suchen, Wegen, die mühsamer, schwieriger sind? Was wäre, wenn ich nicht sprechen könnte, um einem Freund etwas Schwieriges zu erklären, etwa um Verzeihung zu bitten? Wenn ich es nur aufschreiben könnte? Was würde ich schreiben? Solche Gedankenspiele können tatsächlich zu mehr Klarheit führen und helfen, die richtigen Worte zu finden oder Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Das gilt natürlich auch für die Kirche, die — ob es uns passt oder nicht — eine Kirche im Umbruch ist, eine Kirche, die ihre Gestalt verändern wird. Was ist uns als Kirche wichtig, wenn uns die finanziellen Mittel ausgehen? Was wollen wir dann den Menschen mitgeben? Was wollen wir bewahren? Ich denke, dass wir solche Fragen beantworten müssen — auch als Folge des Anstoßes Jesu für seine Jünger.

In einem zweiten Schritt füllt Jesus das von ihm Gesagte. Er stellt ein Kind in ihre Mitte und sagt, dass der, der ein solches Kind aufnimmt, ihn, Jesus, und damit letztlich Gott, der ihn gesandt hat, aufnimmt. Ein Kind — was bedeutet das? Eigentlich existierte das Kind im Bewusstsein der antiken Kultur gar nicht, es wurde übersehen. Es war eine notwendige, aber letztlich nicht beachtete Vorform des Erwachsenen, der allein zählt — ein wenig wie eine Raupe, aus der der Schmetterling wird. Das Kind hatte nur ein eingeschränktes Lebensrecht, es hatte letztlich keine irgendwie nennenswerten Rechte. Und hier soll der Mensch Gott finden, wer ein solches Kind aufnimmt, nimmt Gott auf, sagt Jesus. Hieraus erwächst ein Auftrag für die Kirche, das ist der Dienst, den sie heute tun muss: in, dem was übersehen wird, Gott zu suchen. Im Englischen gibt es das sprachliche Bild vom Elefanten im Zimmer. Das meint, dass etwas so groß ist, dass man es eigentlich nicht übersehen kann — und doch tun alle so, als würden sie das Offensichtliche nicht sehen. Hier den Finger in die Wunde zu legen: das ist Kirche, die dient. Was das nun heute ist? Das müssen wir als Kirche beantworten, denn ich will ja nicht in die Falle tappen, die ich eingangs aufgestellt habe, dass die Kirche vor allem meinen Zielen dienen muss. Jedenfalls scheint es mir mehr und mehr so zu sein, dass die Verantwortlichen in unserer Kirche vor allem das ansprechen, bekräftigen und aus der Perspektive des christlichen Glaubens unterstreichen, was ohnehin überall thematisiert wird. Es lohnt sich stattdessen nach dem zu suchen, was übersehen wird.

Ist es nicht tatsächlich auch im persönlichen Leben so, dass das Überraschende, das, was wir zunächst übersehen haben, unser Leben oft mehr prägt als unsere Planungen, dass oft genug Tiefe und Reichtum in unser Leben kamen durch das, was wir zuerst übersehen haben? Ja, ich denke, dass unser Leben eben diesen Reichtum des zuerst Übersehenen braucht, ja dass unsere Gesellschaft diesen Anstoß immer wieder braucht: das Übersehene in den Blick zu nehmen, nur so kann sie wachsen und gedeihen. Aber kann sie das — wenn sie nicht mehr an die Verheißung glaubt, darin Gott zu finden?

Was also ist eine dienende Kirche? Ich glaube, Jesu Worte sind auch ein Anstoß, zu überlegen, was ich tun würde, wenn ich die gewohnten Mittel nicht habe, um etwas Wichtiges zu tun. Was ist uns als Kirche wichtig, wenn uns die finanziellen Mittel ausgehen? Was wollen wir dann den Menschen mitgeben? Das Kind, das Jesus in die Mitte stellt, erinnert uns an das, was übersehen wird. Das ist Kirche, die dient: Unsere Aufgabe ist es, nicht nur zu unterstreichen, was alle sagen, sondern in dem, was übersehen wird, Gott zu suchen.