„Der Heilige Geist und wir haben beschlossen …“

Pfingsten (Lesejahr C; Apg 2, 1–11; 1 Kor 12, 3b–7.12–13; Joh 14, 15–16.23b–26)

Was für ein Ereignis, was für ein Aufbruch! Die Apostel drängen nach draußen, überwinden ihre Angst und verkünden Gottes große Taten — und jeder versteht sie in seiner eigenen Sprache. Es ist der Heilige Geist, der sie befähigt, antreibt, zusammenführt. Nicht selten wird Pfingsten als Geburtstag der Kirche gedeutet. Wie anders ist doch unsere Situation heute! Nicht nur, dass es Spannungen und unterschiedliche Meinungen gibt, sondern die Verunsicherung reicht längst viel tiefer. Wer sind wir als Kirche überhaupt? Sind wir ein von Menschen begründeter Verband, der sich der Umsetzung einer höheren Idee namens Evangelium widmet — oder sind wir die vom Heilgen Geist zusammenführte und geleitete Gemeinschaft, um Zeugnis für das Evangelium abzulegen? Davon hängt auch ab, inwiefern die Gestaltung von Kirche in unsere Hand gegeben ist. Ist die Kirche nun menschliche oder göttliche Gründung?

Wenn wir in die Heilige Schrift schauen, scheint das Ergebnis eindeutig zu sein. Wie schon gesagt, ist es der Heilige Geist, der die Apostel antreibt, hinauszugehen und Kirche zu sein. In der zweiten Lesung erinnert der Apostel Paulus die um Einheit ringende Gemeinde von Korinth daran, dass sie weder um ihrer selbst willen noch aus eigener Vollmacht Kirche ist. Von Anfang an ist die Gemeinschaft der Jünger die Gemeinschaft derer, die Jesus berufen hat und in der er auch einige, die wir Apostel nennen, besonders bevollmächtigt hat. Gewiss gibt es nicht den einen Gründungsakt von Kirche, so wie man in Deutschland einen Verein gründet — mit Unterschrift und Eintragung ins Vereinsregister —, es ist ein langsames, allmähliches Wachstum, begleitet und geleitet vom Heiligen Geist, wie es auch Jesus im heutigen Evangelium sagt: „Der Beistand aber, der Heilige Geist … der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ Also alles klar? Eben nicht. All dies leuchtet eben unserer Zeit nicht oder kaum noch ein. Man ist heutzutage gewohnt, dass alles geschichtlich bedingt ist, also Ergebnis der jeweilen Umstände, und damit keine Allgemeingültigkeit mehr beanspruchen kann. Damals hat man das halt so gesehen — heißt es dann —, hat die Entwicklungen, die zu jener Zeit vernünftig waren oder sich einfach ergeben haben, als Wirken des Heiligen Geistes gedeutet. Heute wissen wir es besser. Wenn wir heute Kirche sein wollen, müssen wir uns selbst überlegen, was angemessen ist, was wir über Freiheit und Selbstbestimmung gelernt haben, und so Kirche gestalten. Kirche ist also immer menschlichen Ursprungs, auch wenn sie versucht der Botschaft Jesu heute zu dienen. Soweit — jedenfalls aus meiner Wahrnehmung — die gängige Überzeugung.

Ich halte diese Sicht — um es deutlich zu sagen — für falsch. Sie widerspricht dem einhelligen Zeugnis der Heiligen Schrift. Um es mit einem Beispiel zu sagen: wenn ein Fußballverein sich darauf einigt, ab sofort nicht mehr den Ball mit den Füßen zu spielen, sondern die Hände zu verwenden, ist er vielleicht ein Handballverein, aber eines ist er gewiss nicht mehr: ein Fußballverein. Gewiss entwickelt Kirche sich, das muss sie, ohne Zweifel. Das ist auch bereits in der Heiligen Schrift zu erleben, beispielsweise wenn die Apostel und die Verantwortlichen der Urgemeinde entscheiden, dass Christen nicht ans jüdische Gesetz gebunden sind. „Der Heilige Geist und wir haben beschlossen“ (Apg 15, 28), sagen sie an dieser Stelle. Das zeigt, dass sie an diese Leitung glauben. Die gewiss idealisierte Darstellung in der Apostelgeschichte zeigt dennoch, wie sie diskutieren, wie sie versuchen auf die Heilige Schrift zu hören. Kirche verändert sich, Kirche entwickelt sich, das muss sie — aber aus dem Geist des Gebetes heraus, aus dem Hören auf die Heilige Schrift. Es geht nicht einfach darum, wer am meisten Applaus bekommt — innerhalb und außerhalb der Kirche — und wer am lautesten ist.

Gewiss beeinflussen und prägen die Umstände, unter denen wir leben, unser Denken und Handeln. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass diese Sicht der Dinge, dass alles immer nur geschichtlich bedingt ist, in eine Sackgasse führt. Denn einerseits erleben wir, dass diese Sicht überall propagiert wird, dass Vergangenes überholt sei, während anderseits die eigene Sicht der Dinge absolut gesetzt wird — ohne dass hinterfragt werden darf. Wer aber so sehr die geschichtliche Bedingtheit betont, müsste allerdings auch die geschichtliche Bedingtheit der eigenen Position erkennen, der muss davon ausgehen, dass in vielleicht zwanzig oder dreißig Jahren seine eigene Postion als falsch und überholt erkannt wird. Wie sollen da Veränderungen, ja Umwälzungen in der Kirche begründet werden? Wie kann da die eigene Position lauthals und zweifellos verkündet werden? Wenn alles immer nur geschichtlich bedingt ist, dann ist auch die eigene Position das — ohne tieferen, bleibenden Kern und ohne höheren Anspruch.

Selbst in bestimmten Organisationen, die ohne Zweifel menschlichen Ursprungs sind, die aber doch einem höheren Zweck dienen und der Gemeinschaft nutzen, gehen wir doch von einem unverrückbaren Kern aus. Denken wir an die Feuerwehr. Da hat sich natürlich die Technik und vieles geändert, aber im Grundsatz — das wage ich als Nicht-Feuerwehrmann zu sagen — bleibt doch Entscheidendes gleich. Man wird alarmiert, wenn es brennt, man versucht das Feuer zu löschen und Leben zu retten. Und wohl keiner hätte Verständnis dafür, wenn man käme und das als altmodische Idee beiseitelegen würde. Vor allem wenn es bei ihm brennt. Und selbst Parteien riskieren gelegentlich ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie in allzu halsbrecherischen Verrenkungen neue Positionen einnehmen. Der Wähler weiß das oft nicht zu schätzen.

Kirche muss sich verändern, Kirche entwickelt sich. Aber wenn Kirche Kirche sein will, dann muss klar sein, dass wir das nicht aus eigener Vollmacht sind, sondern gerufen und geleitet durch den Heiligen Geist. Veränderungen müssen im Hören auf die Heilige Schrift und aus dem Geist des Gebetes erwachsen. Heutzutage wird oft angeführt, dass letztlich alles geschichtlich bedingt ist und keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann — während wir gleichzeitig erleben, dass die Erkenntnisse des Augenblicks als absolut und zweifellos zu gelten haben. Das passt dann auch nicht zusammen. Dann sind auch diese Erkenntnisse ohne tieferen Kern und höheren Anspruch. Auch bei menschlichen Organisationen, die einem höheren Zweck dienen wie die Feuerwehr, gehen wir doch von einem unverrückbaren Kern aus: Einsatz, Löschen, Leben retten. Umso mehr muss dies doch bei der Kirche der Fall sein. Gebe der Herr uns seinen Heiligen Geist und geleite uns in dieser Zeit und durch diese Zeit!