Wir brauchen keinen Gott, den man fürchten muss — oder doch?

Taufe des Herrn (Lesejahr C; Apg 10, 34–38; Lk 3, 15–16.21–22)

„Das hervorragendste Zeugnis der Bildung ist Ehrfurcht“, sagte ein deutscher Pädagoge vor mehr als 100 Jahren. Heute würde das wohl niemand mehr so formulieren, umso fremdartiger wirkt deshalb das Wort des Petrus in der Lesung aus der Apostelgeschichte: Gott sieht nicht auf die Person, sondern jeder ist ihm willkommen, der ihn fürchtet und tut, was recht ist. Das kann doch nicht sein? Ein Gott, den man fürchten muss? Wer bitte will so etwas heutzutage noch? Man hat doch lange genug daran gearbeitet, dass Gott ein guter Gott ist, einer, vor dem man keine Angst haben muss! Und Johannes der Täufer kündigt den Kommenden als den an, der nicht mit Wasser, sondern mit Heiligem Geist und Feuer tauft. Ein Gott also, der zur Feuertaufe ruft? Das alles klingt nach einem reichlich veralteten Gottesbild, das heutzutage keinen mehr erreicht. Wir brauchen doch keinen Gott, den man fürchten muss und der mit Feuer tauft — oder doch?

Die meisten Menschen brauchen heute überhaupt keinen Gott mehr, viele haben ihre eigenen Lösungen gefunden. Lösungen, die praktischer sind. Nicht ein Gott, vor dem man sich fürchten muss — wie absurd wäre das für den aufgeklärten Menschen unserer Zeit! Nein, man schaut sich um, wählt selbst ein Ideal und erhebt es auf den Thron, damit es uns leite. Das kann Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit oder was auch immer sein. Durchaus sinnvolle und respektable Ziele, die dann aber zu Ersatzgöttern werden. Das liegt uns näher, denn letztlich sitzt da kein fremder Gott auf dem Thron, sondern eine idealisierte, vollkommenere Form meiner selbst, eine Version von mir, die eben gerechter und umweltfreundlicher ist.

Der christliche Glaube hingegen beschreibt die umgekehrte Bewegung, nicht ich suche ein Ideal und erhebe es auf einen Thron, sondern der allmächtige Gott steigt herab und tritt als Mitmensch an meine Seite. Es ist gerade die Taufe Jesu, die dies in tiefster Weise zeichenhaft deutlich macht. Die Taufe des Johannes ist eine Bußtaufe, er lädt die Menschen ein, ihre innere Bereitschaft zur Umkehr durch ein Zeichen sichtbar zu machen: in den Jordan zu steigen und ihre Sünden symbolisch abzuwaschen. Dass der menschgewordene Gott sich dieser Zeichenhandlung ebenso unterzieht, macht seine unbedingte Solidarität mit uns deutlich.

Ist es nicht die tiefere und reichere Botschaft, dass der lebendige Gott zu uns herabsteigt, als dass ich eine — vermeintlich — bessere Version meiner selbst auf einen Thron erhebe? Hat letzteres nicht immer ein bisschen was von einem Kasperletheater — ein wenig hart formuliert? Es bleibt eben das Anstößige, dass dieser Gott ein anderer ist, dass er gefürchtet weder soll. Und so ist die Versuchung groß, wenn ich mich denn auf ihn einlasse, ihn kleinzumachen. Einfach der liebe Gott, der als Freund an unserer Seite geht, eine Art überdimensionierter Schutzengel. Ich glaube allzu oft ahnen wir nicht einmal im Ansatz, was das bedeutet, dass der allmächtige Gott sich so herabneigt, wie wir es an Weihnachten feiern. Und ich glaube tatsächlich, dass die Ehrfurcht, von der Petrus in der Lesung aus der Apostelgeschichte spricht, wesentlich ist, um auch nur zu eine leise Ahnung von dem zu bekommen, was Menschwerdung Gottes bedeutet.

Dass es also nicht um Angst vor Gott geht, macht schon das Hauptwort deutlich, das in diesem Zusammenhang üblicherweise verwendet wird: Ehrfurcht. Auch wenn dieses Wort mangels Gebrauch heute kaum noch verständlich ist, deutet es doch an, dass etwas anderes als Angst gemeint ist. Ich will versuchen es so zu erklären: In einer guten Freundschaft — wohl auch in einer Partnerschaft — gibt es natürlich Vertrauen und Zuneigung zum anderen, die Freude an der Gegenwart des anderen, derer man sich leider manchmal erst dann bewusst wird, wenn sie einem fehlt. Aber wenn diese Beziehung wirklich gut ist, dann gehört immer auch die leise Furcht davor, den anderen zu verlieren, dazu. Wenn die nicht — wenigstens unbewusst — da ist, gleitet die Freundschaft in ein Nebeneinander ab, dem letzte Tiefe fehlt. Diese leise Frucht, den anderen zu verlieren, kann uns dem, was Ehrfurcht meint, näher bringen. Es geht ganz gewiss nicht um Angst vor Gott, es geht um eben diese leise Furcht, ihn zu verlieren, denn er, Gott, schuldet mit nichts, ist nicht auf mich angewiesen. Er ist nur aus einem Grund da — aus Liebe.

Gott wird in Jesus unser Bruder, will als Freund an unserer Seite stehen, das heißt aber nicht, dass er einfach ein Kumpel oder — wie schon gesagt — eine Art überdimensionierter Schutzengel ist. Er ist und bleibt der allmächtige Gott, der mit Feuer tauft, der größer ist, als alles, was wir denken können. In der Beziehung zu anderen kommt es vor, dass wir einen Abstand fühlen. Das kann manchmal etwas Trauriges sein, weil ich dem anderen gern näher wäre, aber es kann auch etwas Gutes und Fruchtbares sein. Denken wir an die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler, die wirklich gut und sogar herzlich sein kann, aber dennoch braucht es diesen Abstand, damit der Schüler Schüler bleibt und lernen kann. Ich glaube, auch in einer Freundschaft gibt es diesen guten Abstand. Es geht dabei um die Erfahrung, dass ich dem anderen seinen Raum lasse, er selbst zu sein, dass ich ihn nicht einfach vollständig beanspruche und dass gerade aus diesem Abstand im guten Sinne tiefe und reiche Begegnungen hervorgehen können. Diesen guten Abstand brauchen wir auch in der Gottesbeziehung und gerade das meint Ehrfurcht.

Ehrfurcht hat also nichts mit Angst vor Gott zu tun, sondern ist Voraussetzung der Gottesbeziehung. Es geht nicht darum, ein Ideal auf einen Thron zu setzen, das dann nur eine vollkommenere Version meiner selbst ist, sondern dem allmächtigen Gott zu begegnen, der herabsteigt, um unser Bruder zu sein. Ehrfurcht lehrt mich, dass er dennoch Gott ist, nicht einfach ein Kumpel. Doch auch in menschlichen Beziehungen gibt es diese leise Frucht, den anderen zu verlieren. Es gibt den Abstand zum anderen, der nicht schlecht ist, sondern ihm Raum gibt, er selbst zu sein, damit ein gutes Miteinander möglich ist. Die Erfahrung der leisen Furcht, den anderen zu verlieren, und der gute Abstand — diese Erfahrungen lehren uns, was Ehrfurcht ist.